Im Zweifelsfall Hausverbot

Eine Legende feiert im Stillen: Wolfgang Wagner, 57 Jahre Herrscher am Bayreuther Hügel, wird am 30. August 90 – und hat erreicht, was er wollte.
von  Abendzeitung

NÜRNBERG - Eine Legende feiert im Stillen: Wolfgang Wagner, 57 Jahre Herrscher am Bayreuther Hügel, wird am 30. August 90 – und hat erreicht, was er wollte.

Nichts gegen die Verdienste von Fitzgerald Kusz um die Verbreitung der fränkischen Sprache, aber was deren globale Wahrnehmung betrifft, gehört einem anderen Landsmann die Palme: Wolfgang Wagner, berufsmäßiger Enkel mit Vollzeit-Verpflichtung zur Ahnen-Pflege, hat von Bayreuth aus durch eine Unmenge livehaftig gepolterter Interviews für alle Welt demonstriert, dass provinzieller Zungenschlag und überirdische Kunst einander nicht ausschließen. Und das, obwohl seine oberfränkische Dialekt-Variante eher barsch als charmant klingt. Er durfte das – er war, länger als der geniale Großvater Richard plus der noch fleißiger komponierende Vater Siegfried zusammengerechnet, und gewiss über einen größeren Zeitraum als seine 2009 ins Amt gekommenen Töchter es schaffen werden, Herrscher vom Grünen Hügel. 57 Jahre Chef-Ideologe und leitender Angestellter der denkbar mysteriösesten Ruhm-Verwaltung. Am 30. August wird Wolfgang Wagner 90 Jahre alt. Es geht ihm, wie Tochter und Wunschnachfolgerin Katharina ganz in Familientradition betont unsentimental sagt, „dem Alter entsprechend“.

Das Wort „Hausverbot“ kam dem Herrn, den man für immer dahinstürmend mit schlohweiß wehendem Haar und seitlichem Wiegeschritt in Erinnerung behalten wird, locker über die Lippen. Zumindest während seiner vitalsten Jahre, die ungefähr ein halbes Jahrhundert umfassen, musste jeder mit seinem Zornesblitz rechnen. Bevorzugt die eigene Familie (Mutter, Ehefrau, Tochter, Sohn, Nichte), aber gerne auch ignorante Politiker oder dahergelaufene Journalisten. Letztere fühlten sich sowieso erst geadelt, wenn sie in eine Maulschelle des Patriarchen gerannt waren. Er hielt es da mit Poltergeist Hans Sachs in den von ihm oft und gern, leider nicht sonderlich gut inszenierten „Meistersingern“, wie er dem Lehrbuben in aller fränkischen Freundlichkeit eine verpasst. Wolfgang wählte die verbale Variante. Dem Autor dieser ehrfurchtsvollen Zeilen ist es erstmals passiert, als Peter Stein anno 1975 im AZ-Interview seine Bayreuth-Absage mit Hinweis auf dortige „Reichsparteitagskultur“ und Franz Josef Strauß in den Hinterzimmern begründet hatte. „Eigentlich wollte ich Ihnen Hausverbot erteilen“, bellte Wolfgang Wagner beim nächsten Treffen – und beantwortete sodann, gar nicht unfreundlich, die Fragen. Ein Gemütsmensch.

Bis zum frühen Tod seines Bruders Wieland 1966, der als der bessere Regisseur galt, war Wolfgang Hintergrund-Manager von Neu-Bayreuth. Ihm wurde angedichtet, dass er keine Konzepte, aber jeden Nagel im Festspielbetrieb persönlich kennt. Das blieb ungefähr so bedeutsam wie die Spekulation, welcher der Brüder dazumal bei Mamas bevorzugtem Haus-Gast Adolf Hitler näher am Schoß gesessen ist. Als Witwe Winifred in den Siebzigern in Syberbergs Interview-Film heiter gestand, sie würde den „Führer“ auch heute herzlich willkommen heißen, sprach Sohn Wolfgang eines seiner Machtworte. Er tat es taktisch klug, um Schaden von den Festspielen abzuwenden. Schließlich war er aufs Wohlwollen der spendablen öffentlichen Hand angewiesen.

Ihr hat er dann kräftig auf die Finger geschlagen, als sie seinen nur bedingt altersweisen Nachfolge-Ratschlüssen nicht folgte. Reihenweise verzweifelten gewiefte Politiker an der Standfestigkeit des Hügel-Herrschers, der ihnen den leichtfertig ausgestellten „lebenslangen“ Vertrag so lange um die Ohren haute, bis Tochter Katharina alt genug für die Fortsetzung der Sippen-Linie war. Da durfte 2008 im letzten Kompromiss sogar die „verstoßene“ Eva aus erster Ehe heimkehren. In des Vaters Arme – zumindest in sein Büro.

Man muss den gefilterten Wahrheiten der Biografie „Lebens-Akte“ nicht alles glauben, aber der Respekt für die dauerhafte Etablierung der Bayreuther Festspiele ist Wolfgang Wagner zum Neunzigsten sicher. Mag er auch manche Entwicklung blockiert haben, er war ein treu sorgender Hausvater, für den zu Dumpingpreisen geschuftet wurde. Streik-Drohungen gab es da nie. Nicht für alle, aber für entscheidende künstlerische Akzente war er zu gewinnen. Von Pierre Boulez ließ er sich zu Patrice Chéreau überreden, Daniel Barenboim durfte das ganze Wagner-Repertoire in Bayreuth testen, Götz Friedrich und Harry Kupfer konnten ihre stärksten Seiten zeigen. Dass dazwischen hausbackene Eigen-Inszenierungen (bevorzugt „Meistersinger“ und „Parsifal“) eher lähmten und Vorzugs-Dirigenten wie Horst Stein am Boden des Handwerks blieben, kam nicht unabsichtlich. Wolfgang Wagner misstraute den Überfliegern, sofern sie ihn nicht wie Christian Thielemann mit Charisma anstrahlten, konnte aber gut einschätzen, wo Opas Opus in falsche Hände geriet. Nach Besuch einer „Rheingold“-Premiere in Nürnberg ließ er Freunden wissen, der Dirigent habe „lahmarschig neidrosch’n“. Exakter hat es kein Kritiker formuliert.

Nach dem Tod seiner Frau Gudrun wollte Wolfgang nur noch das Erbe der „Wunschmaid“ sichern, ließ absurde ästhetische Wendemanöver zwischen Schlingensief und Tankred Dorst zu. Darüber öffentlich streiten, wie er das leidenschaftlich ungerecht und sehr unterhaltsam bei jeder Pressekonferenz tat, kann er nun nicht mehr. Etliche Journalisten haben schon Entzugserscheinungen.

Der friedlich gewordene Patriarch wird sich zum 90. Geburtstag, den er wie die meisten vorher nicht groß feiert, zumindest ein listiges Lächeln gönnen. Er hat erreicht, was er wollte. Dieter Stoll

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