Im Visier der Schleierfahnder

Die Autobahn ist ihr Revier: Die Schleierfahnder der Polizeiinspektion Fahndung lauern Schleusern, Schmugglern und Dieben auf, die sich aus der Unterwelt nach Oberbayern verirrt haben. Ihre Bilanz: 35 000 Festnahmen in zehn Jahren. Unterwegs mit zwei Polizisten, deren Einheit schon Drogen für 40 Millionen Euro aus dem Verkehr gezogen hat.
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Die Autobahn ist ihr Revier: Die Schleierfahnder der Polizeiinspektion Fahndung lauern Schleusern, Schmugglern und Dieben auf, die sich aus der Unterwelt nach Oberbayern verirrt haben. Ihre Bilanz: 35 000 Festnahmen in zehn Jahren. Unterwegs mit zwei Polizisten, deren Einheit schon Drogen für 40 Millionen Euro aus dem Verkehr gezogen hat.

Sie stehen noch keine drei Minuten auf ihrem Aussichtspunkt am Irschenberg, da fährt er vorbei: Ein alter blauer Transporter mit schwarzverklebten Scheiben und serbischem Kennzeichen. „Schauen wir uns den mal an?” fragt Tanja. Kollege Andreas nickt und wendet, dass die Kiesel spritzen. Ihr silbergrauer Mittelklassewagen schießt auf die A8 und klemmt sich hinter den Lieferwagen. Hat der Fahrer sie bemerkt? Vielleicht. Andreas überholt und schert vor dem dunklen Auto ein. Zeit für die „Anhalte-Aufforderung“, wie das Sätzchen korrekt heißt, das jetzt im Rückspiegel aufleuchtet: „Polizei, bitte folgen!“

Über 9000 gefälschte Dokumente beschlagnahmt

Tanja (30) und Andreas (51) sind Schleierfahnder bei der Polizeiinspektion Fahndung (FIS) in Rosenheim, einer Einheit, die es nun genau zehn Jahre gibt. Seit im April 1998 die Grenzkontrollen zu Österreich wegfielen, lauert sie zwischen Bernauer Berg, Kiefersfelden und München allem auf, was sich aus der Unterwelt nach Oberbayern verirrt hat. Die Bilanz der Rosenheimer ist beachtlich. Sie haben Drogen im Wert von rund 40 Millionen Euro aus dem Verkehr gefischt, 600 Fahrzeuge sichergestellt und über 9000 gefälschte Dokumente beschlagnahmt.

Etwa 400 Mal brachten sie Waffen zurück auf die Dienststelle: Messer, Schreckschusspistolen, Gewehre und im Februar 2003 zwölf Maschinenpistolen sowie 173 Handgranaten, säuberlich verpackt in zwei Koffern. Das Kriegsgerät stammte aus Ex-Jugoslawien - genau wie der Lieferwagen, den Tanja mit einer rot-weißen Polizeikelle auf einen Parkplatz dirigiert. Andreas bremst zwei Meter hinter ihm. Ein kurzer Blick zur Kollegin, dann steigt das Duo aus. Beide haben ihre Jacken so hochgezogen, dass die Dienstwaffe zu sehen ist. Die Lederriemen, mit denen die Pistolen im Halfter festgemacht waren, sind geöffnet. „Einer sichert, der andere spricht an“, erklärt Tanja das Prinzip, „schließlich haben wir es oft mit Hochkarätern zu tun“. Unter den 35 000 Personen, die Rosenheims Spezialtruppe seit 1998 festgenommen hat, waren ein Münchner, der zwei Frauen umgebracht hatte, ein Raubmörder aus Litauen und ein Camorra-Killer. Auch deshalb wollen die Polizeiobermeisterin und der Polizeihauptmeister weder ihre Nachnamen noch ihre Gesichter in den Medien sehen.

Der maltesische Führerschein auf dem Mini-PC

Der junge Mann, der aus dem Transporter steigt, hat braune lange Haare und grinst. In wenigen Minuten werden die Beamten wissen, ob er sich illegal in Deutschland aufhält, ob nach ihm gefahndet wird, sein Ausweis gefälscht oder der Lieferwagen gestohlen ist. Möglich macht das der „CarPC“, der aussieht wie eine Computer-Tastatur mit integriertem Bildschirm. Über ihn greift Tanja vom Beifahrersitz aus auf die wichtigsten Polizei-Datenbanken zu. Sogar Fingerabdrücke können die Beamten direkt auf der Straße nehmen und mit dem BKA-Bestand abgleichen – dank eines Zigarettenschachtel- kleinen „Fingerprint-Scanners“. Auf der Festplatte des Mini-PC sind außerdem hunderte Original-Dokumente aus aller Welt gespeichert. Zum Vergleich. Wer weiß schon, wie ein maltesischer Führerschein aussieht, ein Ausweis aus Afghanistan oder eine finnische Aufenthaltsgenehmigung? Gegen den jungen Serben liegt nichts vor. Er will in München ein Auto kaufen und darf weiterziehen.

Warum Tanja und Andreas gerade ihn ausgesucht haben? „Bauchgefühl“. Außerdem würden derzeit viele Flüchtlinge aus dem Irak durch Bayern geschleust – oft in Lieferwagen. Ein schwarzer BMW X5 rast vorbei. Andreas gibt Vollgas. Der edle Geländewagen kostet über 50 000 Euro und „hochpreisige Geländewagen sind in Osteuropa derzeit sehr angesagt“, sagt Tanja. Also hinterher.

"Kriminelle sind auch nur Menschen"

Doch das ist nicht so einfach. Ein Kombi blockiert die Überholspur. Dass Tanja das mobile Blaulicht ins Frontfenster stellt, interessiert die Dame am anderen Steuer überhaupt nicht. „Auf dem Dach hält das Licht mit einem Magnet – aber nur bis zu einer Geschwindigkeit von 160 Stundenkilometern“, sagt die Polizistin, als der Kombi endlich die Spur wechselt und die Beamten zum BMW aufschließen. Kurz vor einer Parkbucht schaltet Tanja die „Anhalte-Aufforderung“ ein. Auf Knopfdruck kann sie die Sprache einstellen, in der die Anzeige erscheint: „Italienisch, Französisch, Englisch, was wir halt so brauchen“. Der BMW, der jetzt brav dem Zivilfahrzeug der Fahnder folgt, hat ein slowakisches Kennzeichen. In einer Parkbucht halten beide an.

„Auf der Autobahn wäre eine Kontrolle viel zu gefährlich“, sagt später Robert Anderl, Leiter der FIS Rosenheim. Der Polizeioberrat ist froh darüber, dass in zehn Jahren Schleierfahndung nur einer seiner Leute ernsthaft verletzt wurde. „Das war 2004 bei einer Verfolgungsjagd. Da ist unser Mann mit Tempo 220 bei Aquaplaning von der Fahrbahn abgekommen“, erzählt Anderl. 36 Tage lag der Verunglückte im Koma. „Heute arbeitet er wieder – zum Glück.“

Tanja und Andreas haben derweil Pech. Im Schleierfahnder- Sinn. Am Steuer der Luxus-Karosse sitzt ein braungebrannter Neureicher aus Bratislava, auf der Rückbank schlafen zwei Kinder. Sie kommen aus dem Urlaub. Wieder kein „Aufgriff“. Auch die folgenden Kontrollen – mehrere osteuropäische Auto-Händler, ein Chrysler und ein bulgarischer Opel Zafira, vollgestopft mit Lidl-Tüten – verlaufen ergebnislos. „Vielleicht liegt’s am Wetter“, grübelt Andreas und schaut hinaus in den Regen. „Kriminelle sind auch nur Menschen und lieber bei guten Verhältnissen unterwegs.“ Vielleicht ist auch der Wochentag schuld. Es ist Dienstag, Schleuser und Schmuggler mischen sich aber bevorzugt unter den Wochenendverkehr. Der nächste „Aufgriff“ dürfte trotzdem nicht lange auf sich warten lassen – bei 35 000 Festnahmen in zehn Jahren.

Natalie Kettinger

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