Interview

Ilse Aigner kämpft gegen Verschwörungstheorien: "Neue Wucht für Feindbilder"

Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner kämpft mit Leidenschaft gegen die Verschwörungstheorien, die während Corona regen Zulauf erfahren - wie sie das macht.
von  Clemens Hagen
Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags.
Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags. © dpa

München - Die 55-jährige CSU-Politikerin ist seit 2011 Vorsitzende des Bezirksverbandes Oberbayern. Seit November 2018 bekleidet sie das Amt der Landtagspräsidentin. Die AZ hat mit ihr gesprochen.

AZ: Frau Aigner, Sie setzen sich entschieden gegen Hass und Extremismus ein. Wie sehr hat Sie dieses Jahr beunruhigt, in dem an vielen Tagen Rechten, Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern die Schlagzeilen gehörten?
ILSE AIGNER: Man muss wachsam sein - und eine scharfe Trennlinie ziehen zwischen denen, die mit legitimem Interesse auf die Straße gehen, um zu demonstrieren auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite jenen, die hinter der Corona-Pandemie eine Verschwörungstheorie und geheime Mächte sehen, die einen Plan verfolgen. Letztere stellen eine Gefahr für die Demokratie dar.

Ilse Aigner über Verschwörungstheoretiker in Social Media

Wie groß ist diese Gefahr?
Verschwörungstheorien hat es immer gegeben. Die Wucht ist aber erst durch die digitalen Medien entstanden, die diese Ideen unters Volk bringen, in denen Feindbilder erzeugt werden. Oft verbindet sich das mit Antisemitismus. Das ist an sich schon kritisch, aber vor allem fühlen sich manche dazu berufen, tätig zu werden. Das kann dann tödlich enden. Der Attentäter von Halle zum Beispiel hat sich ganz dezidiert auf Verschwörungstheorien berufen und tötete zwei Menschen. Aber von Verschwörungstheoretikern wird auch unsere Demokratie als solche infrage gestellt, unsere Gesellschaftsform.

Macht Corona die Menschen anfälliger für radikales Gedankengut?
In unserem "Forum Antworten" - einem beratenden Expertengremium im Landtag - zum Thema Verschwörungstheorien hat die Sozial- und Rechtspsychologin Pia Lamberty von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz gerade erst wissenschaftlich hinterlegt, dass ein Viertel der Verschwörungstheoretiker auch gewaltbereit ist. Das ist schon eine gewaltige Menge.

Aigner setzt im Kampf gegen Verschwörungstheorien auf politische Bildung

Wehrt sich die Demokratie entschieden genug dagegen?
Man muss viel erklären - auch die Politik. Was zeichnet eine Verschwörungstheorie aus? Was sind die Grundlagen? Man muss versuchen, an die Menschen heranzukommen, die noch auf der Kippe stehen und noch nicht komplett abgedriftet sind. Der deutliche Unterschied zu früheren Zeiten vor 100 oder gar 500 Jahren ist aktuell die Geschwindigkeit, mit der sich Verschwörungstheorien verbreiten. Heute wird in Sekundenbruchteilen etwas in die Welt gesetzt, was im Zweifelsfall in Sozialen Medien noch mehr geteilt wird als jede Nachricht in klassischen Medien.

Was hilft dagegen?
Politische Bildung! Bei unserem Forum war eine der Fragen, welchen Bildungsstand die Anhänger von Verschwörungstheorien besitzen. Aber da lässt sich kein Trend festmachen - weder Mann noch Frau, weder jung noch alt, weder gebildet noch ungebildet. Also geht es darum, Angebote für eine möglichst breitgefächerte politische Bildung anzubieten.

Was Verschwörungstheorien betrifft und die wachsende Zahl an Anhängern - spielt die durch die Corona-Pandemie erzeugte Unsicherheit bei vielen Menschen eine Rolle?
Mit dieser Unsicherheit können nicht alle gleichermaßen gut umgehen. Manche suchen dann nach einem, der eine klare Antwort hat oder eine einfache Lösung für komplizierte Probleme. Das ist vielleicht ein Grundproblem unserer Gesellschaft: Es gibt die einfachen Lösungen in unserer komplexen Welt nicht mehr. Ein Politiker hat früher vielleicht gesagt: Ich sorge dafür, dass ... Heute sagt er: Ich setze mich dafür ein, dass ... Der braucht Mehrheiten - eine Mehrheit im Landtag, eine Mehrheit in der Ministerpräsidentenkonferenz, eine Mehrheit im Europäischen Rat oder wo auch immer. Und diese Komplexität, verschärft durch Corona, überfordert Menschen und macht sie empfänglich für Verschwörungstheorien.

Sind Politiker in der Corona-Krise überfordert?

Mitunter hat man in der Pandemie das Gefühl, auch die Politiker seien überfordert.
Ich würde sagen: stark gefordert, nicht überfordert. Ein Virus hält sich nicht an politische Beschlüsse.

Sie sprachen es an: Verschwörungstheorien werden meist über Soziale Netzwerke geteilt. Ihr Parteikollege, der Bundesinnenminister Horst Seehofer, will dagegen strikter vorgehen. Tut er das zu Recht?
Straftatbestände sind auch in Sozialen Medien nicht zulässig. Die müssen für meine Begriffe aber nicht nur gelöscht, sondern angezeigt werden. Da bin ich unserem Justizminister Georg Eisenreich und unserem Innenminister Joachim Herrmann in Bayern sehr dankbar, weil sie Tools entwickelt haben, um das online zu melden - zum Beispiel für Kommunalpolitikerinnen und -politiker und Abgeordnete.

Passiert das denn in größerem Umfang?
Ja. Man kann diese Straftatbestände auch bei 22 Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Bayern anzeigen - ohne sich dafür einen Anwalt nehmen zu müssen. Aber da geht es nicht nur um Verschwörungstheorien, sondern auch um Verunglimpfungen, Hass - alles, was sich findet im Netz.

Zu den hässlichen Bildern des Jahres 2020, die auch massiv im Netz geteilt wurden, gehört sicher, wie Rechtsradikale im August in Berlin auf den Stufen des Reichstags stehen, grölend Reichs- und Reichskriegsflaggen schwenken. Wäre das auch in Bayern, also vor "Ihrem" Landtag, möglich?
Die waren auf diesen Moment nicht vorbereitet. Bei uns kämen die nicht so schnell ran. Da würden gegebenenfalls bei einer Demonstration auch genügend Polizisten bereitstehen. Und in Berlin haben sie für die nächste Demonstration die Bannmeile ja auch erweitert.

Dafür kam es vor zwei Wochen zu der Aktion von Gästen der AfD, die am Rande der Abstimmung für die Reform des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag Abgeordnete bedrängt und gefilmt haben. Welche Rolle spielt die AfD in der Corona-Pandemie?
Das sind natürlich gezielte Provokationen. Ausloten, wo die Grenze liegt - und sich danach dafür entschuldigen. Das ist inzwischen ein schon altbekanntes Muster. Und bei Alexander Gauland (Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag, d. Red.) war ich mir nicht so sicher, ob er das ehrlich gemeint hat.

Zehn Klagen der AfD gegen Ilse Aigner

Zwischen Ihnen und der bayerischen AfD gab es in diesem Jahr auch einige Scharmützel.
In Bayern ist die Fraktion - das ist Medienberichten zu entnehmen - schon länger etwas gespalten, insofern ist es schwierig, von der AfD zu sprechen. Auch beim Bundesparteitag musste Jörg Meuthen (Bundessprecher der AfD, d. Red.) erkennen, dass es extreme Spannungen innerhalb der Partei gibt und in Teilen auch Verbindungen zu Verschwörungstheoretikern. Das muss ich gar nicht kommentieren, das hat er selbst schon getan. Ich selbst merke, dass meine Äußerungen seitens der AfD genau registriert werden. Und da ich die Rolle der Landtagspräsidentin nicht beschädigen will, achte ich genau auf meine Formulierungen. Eine meiner Äußerungen ist sogar Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Insgesamt gibt es zehn Klagen der AfD gegen mich.

Bitte?
Bei der erwähnten Äußerung geht es um eine Klage, die ich im Oktober bekam nach der Langen Nacht der Demokratie. Dort habe ich mit Dieter Reiter diskutiert und auch über Provokationen und Zerrissenheit gesprochen.

Wer klagt da gegen wen?
Ach, mal geht es gegen den Landtag an sich, weil sie nicht im Parlamentarischen Kontrollgremium drin sind. Oder sie klagen gegen mich persönlich zum Beispiel wegen besagter Aussage, die auf der Landtagshomepage zu lesen war. Ganz unterschiedlich.

Lassen Sie sich nicht ins Bocks-horn jagen!
I wo! Ich bin ganz entspannt.

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