Ihr Sohn verblutete im Knast: Freispruch für den Gefängnisarzt

Die Richterin ist überzeugt: Der Häftling (23) wäre auch so gestorben – im Gerichtssaal kam es zum Eklat
von  Abendzeitung

Die Richterin ist überzeugt: Der Häftling (23) wäre auch so gestorben – im Gerichtssaal kam es zum Eklat

NÜRNBERG Eklat am Amtsgericht! Mit Schreien, Tränen und nicht übersetzbaren Beschimpfungen reagierten gestern die Eltern des U-Häftlings David S. (23) darauf, dass der Tod ihres Sohnes folgenlos blieb. Denn Gefängnisarzt Dr. Kurt P. (61) und Pfleger Ilja S. (23) wurden von Richterin Heidi Dünisch vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

Rückblick: David S. schnitt sich nach fünfmonatiger U-Haft wegen Raubes nachts die Pulsadern auf, drückte dann den Notruf-Knopf. Doch weder Pfleger, noch Gefängnisarzt trafen die richtigen Maßnahmen. Der Armenier war schon verblutet, als endlich der Notarzt alarmiert wurde.

Dass sich die Angeklagten in der Nacht zum 16. Juli 2008 falsch verhielten, stellten die Richterin und Staatsanwältin Anita Traud zwar fest: Pfleger und Arzt hätten den drohenden Verblutungsschock erkennen müssen. Aber dies sei nicht die Ursache für den Tod des Häftlings gewesen. Auch wenn sofort – und nicht erst nach 50 Minuten – der Notarzt gerufen worden wäre, hätte man David S. nicht mehr retten können, wie zwei Gutachter ausführten. Und dieser Punkt sei entscheidend.

„Bei aller Wut, dass die Angeklagten falsch gehandelt haben, darf man nicht vergessen, dass der Häftling sich die zum Tod führenden Verletzungen selbst zugefügt hatte“, so die Staatsanwältin. Als sie Freispruch beantragte, gerieten Davids Eltern außer sich. Der Vater verließ wütend den Saal. Die Mutter klagte lautstark die Staatsanwältin an, während vier vorsorglich anwesende Wachleute sich vor ihr aufbauten, um Übergriffe zu verhindern.

„Es geht mir sehr schlecht“, schrie Natascha S., und die Dolmetscherin übersetzte. „Aber das können Sie nicht verstehen. Ich durfte ja meinen Sohn nicht einmal in der U-Haft besuchen.“ Das alles und das ihr unverständliche Urteil seien „unwürdig“. Dann verließ sie den Saal.

Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, moralische Zensuren zu verteilen, stellten die Verteidiger Peter Doll, Harald Straßner und Sven Oberhof lapidar fest. Die Angeklagten hätten nach Dienstanweisung gehandelt. Die wurde nach dem Vorfall geändert. Jetzt können auch die Aufseher gleich den Notarzt rufen.

Ob Bernd Ophoff, Anwalt der Eltern, gegen das Urteil in Berufung geht, ist offen.cis

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