„Ich habe einen Menschen erschossen!“

In einem bewegenden Buch verarbeitet Ex-Polizist Michael Muche (51) aus Schweinfurt den schwersten Tag in seinem Leben.
SCHWEINFURT Kalt lässt dieser Buchtitel nicht: „Ich habe getötet“, drei Wörter, die vom Leben erzählen. Vom Leben dessen, der getötet hat. Und auch vom Ende dieses Lebens. Geschrieben hat es Michael „Mike“ Muche (51). Bis zum 1. März 2004 war er Polizist. An dem Tag erschoss er bei einem Routine-Einsatz in Schweinfurt einen Menschen. Der Notwehr-Akt teilt sein Leben in ein Vorher und Nachher.
„Es war nicht als Buch gedacht, ich hab’s auf Anraten der Ärzte und der Polizei-Sozialtante getan.“ Wer Muche so lax reden hört, wer sein verschmitztes Gesicht sieht, der käme nicht darauf, dass er seit 2004 ein kranker Mensch ist. „In meinem Kopf stimmt nichts mehr, der Körper reagiert“, erzählt er von seinem Gehörsturz, dem Bluthochdruck, den Geschwüren in der Speiseröhre.
Der Bruch in seinem Leben begann mit einem Routine-Einsatz: Familienstreit in Schweinfurt. Er als „alter Sack“ kennt diese Einsätze, hat schon mal einen zum Aufgeben bequatscht, der ihn mit dem Messer bedrohte – und hat danach mit ihm eine geraucht.
So dramatisch schaut’s in dieser Nacht nicht aus. Die Frau lässt ihn und den Kollegen in die Wohnung, es ist ruhig – bis Muche einen Mann im Wohnzimmer entdeckt. Er hat eine Waffe in der Hand und zielt auf ihn...
Es war der Bruder eines Freundes
Muche lässt den Leser an jedem seiner Gedanken teilhaben. Authentisch. Kein Lektor hat begradigt, vielleicht ist das auch gut so: Deckung! „Wohin mit meinem großen Körper?“ Die Todesangst. „Warum habe ich gerade heute meine Schutzweste nicht an? Du faules Schwein, das hast du nun davon.“ „Ich habe noch niemals auf einen Menschen geschossen. Und ich will das auch nicht. Kann das nicht. Wird der Einschlag sehr wehtun? Oder bin ich gleich tot? Warum gehorcht mir mein Zeigefinger nicht? Schieß doch endlich, bevor er es tut! Es hat sich alles reduziert auf mich und diese übergroße Mündung. Der Beginn eines traurigen, verzweifelten Zwiegespräches.“
Das Zwiegespräch endet mit einem Schuss aus Notwehr. Später erfährt Muche, dass er den Bruder eines Freundes getötet hat, der auf ihn mit einer täuschend echten Schreckschusspistole gezielt hat. „Es dauerte drei Monate, bis ich mit ihm sprechen konnte. Wir haben zusammen geweint.“
Nach 14 Tagen traute sich Muche wieder in den Streifenwagen. Doch der Polizist, früher Typ Schimanski, schlotterte innerlich vor Angst. „Das war das Schlimmste: Sich nach 30 Jahren Dienst einzugestehen, dass ich nicht mehr kann. Dass sich mein Partner nicht mehr auf mich verlassen kann, weil man solche Angst hat.“
Die Angst, noch einmal in Todesangst zu geraten, ist so groß, dass sie ihn arbeitsunfähig macht, dass er Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken wahrnimmt. „Es war hart, das zu akzeptieren.“ Auch, den Satz zu sagen: „Ich habe getötet“, ein Satz wie festgemeißelt, der keinen Raum für Ausflüchte lässt.
All das schrieb sich Muche von der Seele und verlegte es in Eigenregie. Das Leben des Hausmannes („bin ich gerne“) ist seitdem nicht mehr ruhig: Kollegen, die es lasen, rufen an und gratulieren. „Das hilft mir sehr“, erzählt er. Er weiß auch, dass er nicht allein ist.
Diese Mail erreichte ihn auf seiner Homepage : „Hallo Mike, Ich habe heute nach dem Nachtdienst Dein Buch vom Buchhändler erhalten. Wollte nur schnell reinschauen. Bin mit Lesen soeben fertig geworden – mit den Tränen auch. Das liegt wohl daran, dass ich teilweise mein eigenes Erlebnis gelesen habe. Ich habe auch getötet!“ sw
Mike Muche, „Ich habe getötet“; 18,50 Euro 196 S., edition nove, ISBN-10: 3852514177