„Ich gehe oft in der Pause“
Off-Broadway für Fürth: Zwei Seiten einer gescheiterten Lovestory als Musical-Studie. Jean Renshaw, britische Choreographien mit fränkischer Wahlheimat, über Sentimentalität, Trends und Fluchten in der Pause.
Sie hatte einst das Tanzwerk Nürnberg mitbegründet, führt zwischen Innsbruck und Trier Regie und hat in Fürth schon zwei Tanz-Produktionen und ein Musical inszeniert: Jean Renshaw, britische Choreographien mit fränkischer Wahlheimat, bereitet mit Bandleader Thilo Wolf am Stadttheater das vor sechs Jahren am Off-Broadway uraufgeführte Stück „Die letzten fünf Jahre“ des 38jährigen Jason Robert Brown vor. Frederike Haas und Alen Hodzovic spielen, Premiere ist am 17. April.
AZ: Frau Renshaw, wer sich an Ihre anspruchsvollen Tanz-Stücke in Nürnberg erinnert oder die Fürther „Könige“ kennt, ist verblüfft, wie oft es sie neuerdings ins Musical verschlägt. Ist das der Drang in andere Theaterwelten?
JEAN RENSHAW: Eigentlich nicht, denn ich arbeite immer mit Situationen und den daraus folgenden Aussagen, ganz egal in welcher Form das stattfindet. Und Musical-Sänger ähneln in ihrer riesigen Disziplin , mit der sie alle Anforderungen angehen müssen, sowieso den Tänzern.
Ein Paar, das nichts sonst tut als seine fünfjährige gescheiterte Beziehung zu besingen, löst nicht unbedingt Show-Stimmung aus. Passt dafür der Begriff „Musical“ in Deutschland überhaupt, wo doch sonst Spektakel ist?
Genau deshalb haben wir „Die letzten fünf Jahre“ ausgesucht, weil es eindeutige künstlerische Qualität hat, die den schrecklich bombastischen Produkten von Webber und Co. widerspricht. Das Stück des jungen Autors, der es geschrieben und komponiert hat, ist witzig und elegant. Die Musik wirkt beim ersten Hören unkompliziert, erst danach merkt man, wie kompliziert sie ist.
Nachhören gibt es für den Zuschauer wohl eher selten...
Ich will damit nur sagen, dass es für die Darsteller ungeheuer schwierige Arbeit ist, der Besucher der Vorstellung aber nichts davon merken wird.
Wird er nicht enttäuscht sein, wenn es statt Revue ein Singspiel gibt?
Abwarten! Ich denke, man sollte die riesige Welle der Beliebigkeit nicht einfach hinnehmen, sondern eher die anspruchsvolle kleine und literarische Form pflegen.
Da gab es zeitweise ja mehr davon, zwischen „I do, I do“, „Halt die Welt an, ich will aussteigen“ und „Irma la Douce“. Aber diese Tradition ist abgerissen. Warum?
Ich weiß es nicht, ich denke aber, es entwickelt sich inzwischen eine Gegenbewegung, die vielleicht dort ansetzt, wo Stephen Sondheim mit seinem Musical-Stil am Broadway erfolgreich war.
Dessen „Lächeln einer Sommernacht“ nach Bergmans Film haben Sie in Fürth schon inszeniert. Sagen wir mal so: „Petticoat & Schickedance“ war der größere Knaller...
Wir reden aber grade von den großen internationalen Trends. Ich bin ja keine Musical-Expertin, ich erkenne lediglich, was gut und schlecht ist.
Die Blockbuster der aktuellen Musical-Szene sind schlecht?
Ich bin, wenn ich sie sehe, immer wieder enttäuscht von ihrer Oberflächlichkeit. Erst vor zwei Wochen habe ich in Berlin „Mamma mia“ angeschaut, weil man mir gesagt hatte, das sei witzig. Ich fand es grausam, und bin in der Pause geflüchtet.
Hoppla, eine Regisseurin, die es als Zuschauerin nicht bis zum Ende der Vorstellung aushält. Ist das ein Sakrileg?
Ich muss gestehen, dass ich mir dieses Besucher-Recht in den letzten Jahren öfter nehme. Man hat gewissen Anspruch, und wenn eine Aufführung den nicht erfüllen kann, mag ich nicht länger dabei sein.
Da würde Ihnen jeder Intendant sagen: Nach der Pause war alles besser!
Haha!
Das Einkreisen einer gescheiterten Love-Story mit zwei Darstellern und sechs Musikern – was ist so besonders daran?
Die Geschichte der letzten fünf Jahre, bei uns also von 2002 bis 2007, wird von zwei Seiten gegenläufig erzählt. Der Mann, ein Schriftsteller, hält die Chronologie ein; die Frau, eine Schauspielerin, läuft sozusagen rückwärts. Es ist frappierend, wenn sie sich in der Zeitschleife finden und das Glück mit dem Ende der Beziehung zusammenprallt.
Das klingt nun aber doch ein wenig sentimental...
Weil man merkt, wie der Autor die komplexen und ganz aus den heutigen Gefühlen heraus entstehenden Vorgänge um Liebe, Missgunst, Erfolg und Neid feinfühlig aufnimmt, darf er sich für Momente auch in die Sentimentalität hinein trauen. Grade das sind wunderbare Szenen.
Es gibt 14 Songs im Stück, nur bei drei davon ist das Paar gemeinsam im Einsatz. Ein Monolog-Musical?
Vielleicht war es das ursprünglich, aber ich habe es grundsätzlich geändert. Bei unserer Aufführung sind immer beide Darsteller auf der Bühne, so dass jedes Selbstgespräch zum heimlichen Dialog wird.
Hierzu fällt mir der Begriff „Regie-Willkür“ ein...
Keine Spur, ich gehöre nicht zu den Regisseuren, die Autoren vernichten. Ich glaube vielmehr, dass meine Form dem Anliegen von Jason Robert Brown besser gerecht wird als die Urfassung, wo die bewegenden Lieder manchmal ins Nichts laufen. Jetzt gibt es den ständigen Kontakt und viele Zweifel-Momente im Beziehungs-Ungleichgewicht.
Sie machen es also komplizierter?
Das Stück ist ein Wurf, es ist große Kunst – das lässt sich nicht einfach so beiläufig bewältigen. Für die singenden Schauspieler ist das Hochleistungsarbeit.
Bleiben Sie nach der Premiere beim Musical oder geht es zurück zum Tanz?
Für den Herbst bereite ich in Trier ein musikalisches Stück über Edith Piaf vor.
Das Musical zu „Milord“ & Co. gibt es aber schon...
Dieses nicht, denn ich schreibe es grade selber. Nachdem ich Dutzende Biografien gelesen habe, wird aus diesen Erkenntnissen und der Originalmusik das Stück entstehen. Ich habe noch nie sowas gemacht – es ist eine richtige Herausforderung.
Interview: Dieter Stoll
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