„Ich bin von Lügen umgeben“

Der Regisseur über seine Inszenierung von Shakespeares Königsdrama „Richard III.“, Nazi-Uniformen und einen weiblichen Tyrannen.
Von nun an wird heruntergezählt: Shakespeares „Richard III.“ am Samstag ist die letzte Premiere des Nürnberger Schauspiels im Kongresshalle-Ausweichquartier. Regie führt Christoph Mehler („Am Tag der jungen Talente“, „Spieltrieb“). Nach der Erkrankung von Thomas Klenk übernahmJulia Bartolome die Rolle des größten Massen-Verführers und Schurken der Bühnengeschichte.
AZ: Herr Mehler, am Samstag werden wir eine Frau als Richard sehen. Warum?
CHRISTOPH MEHLER: Man muss den Richard besetzen können, damit steht und fällt eine Inszenierung. Und ich bewundere Julia Bartolome sehr.
Aber ergibt die Besetzung des Bösewichts und Terror-Herrschers mit einer Schauspielerin einen Mehrwert?
Wenn eine Frau diese Rolle übernimmt, entsteht eine zusätzliche Reibung. Julia spielt das aus. Richard ist eine Figur, die ein großes Handycap hat, eine körperliche Behinderung. Der Widerspruch zwischen dem, was man sieht und dem, was gesprochen wird, begründet das schon. Außerdem geht es in diesem Planspiel darum, wie Menschen miteinander umgehen. Ob es sich um Männlein oder Weiblein handelt, ist da schnuppe.
Sind Sie der Versuchung erlegen, Richard in eine Nazi-Uniform zu stecken oder als Wirtschaftsboss zu zeigen?
Dagegen bin ich immun. Ich kann William Shakespeare und dem Übersetzer Thomas Brasch vertrauen. Wenn ich es schaffe, die Geschichte mit meiner und der Weltsicht der Schauspieler zu erzählen, dann muss ich nichts eins zu eins übersetzen. Die Analogien wirken stärker, wenn ich sie Ihnen überlasse.
Dabei legt die Kongresshalle als Aufführungsort die Gemeinsamkeiten nahe.
Mich hat das Gebäude sehr beeindruckt. Als wir dort „Spieltrieb“ probten, standen Schauspieler-Kollegen, die nebenan „Des Teufels General" machten, oft in SS-Uniformen vor dem Gebäude und rauchten. Das fand ich echt scharf. Die Kongresshalle ist ein Relikt aus einer Zeit, die alle vergessen wollen. Richard verkörpert dieses Böse. Also stellt sich die Frage: Wie geht die Bundesrepublik mit der Vergangenheit um, wie William Shakespeare?
Wie tun sie das?
Als William Shakespeare mit „Richard III." das Finale seiner Rosenkrieg-Dramen schrieb, war der Konflikt zwischen den Häusern York und Lancaster schon 100 Jahre her, aber noch stark im Bewusstsein der Menschen verankert. Am Schluss des Stücks beendet Richmond Richards Herrschaft und wird zu Heinrich VII. Das waren zu Shakespeares Zeit Englands Machthaber. Für das Publikum hatte es einen reinigenden Charakter, zu sehen, dass ihre Könige den Terror mit einer guten Herrschaft abgelöst haben.
Und heute?
Auch in der Kongresshalle schließen wir jetzt die Auseinandersetzung mit dem Ort ab. Trotz des Orts wollten wir nie ein Nazi-Stück daraus machen, sondern die Mechanismen von Politik und Gewalt zeigen. Nicht mit einem historischen Beispiel, sondern jetzt.
Was erzählt „Richard III.“ über die Gegenwart?
Der Grundgedanke ist: Wir lassen uns ziemlich verarschen und gehen wenig dagegen an. Da braucht man noch nicht mal auf Berlusconi in Italien zu gucken. Wir machen das schon selber: Ich sehe ständig Leute, denen ich nicht glauben kann, bin von Lügen umgeben, kann daran aber nichts ändern. Das macht „Richard III.“ höchst modern. Eigentlich müssten wir am Ende aufstehen und ohne Applaus gehen.
In Ihren bisherigen Arbeiten gab’s nur eine minimale Ausstattung. Wie halten Sie’s in „Richard III.“?
Es gibt gibt eine große Metallfläche, eine Art Seziertisch, wo die Sachen verhandelt werden. Ich arbeite schon ziemlich lange mit der Konzentration auf den Text, die Situation, weil ich beim Zuschauer die Bilder im Kopf entstehen lassen möchte. Ich bin kein Regisseur, der Leute bevormundet.Interview: Georg Kasch