„Ich bin ein Diesel-Motor, der Anlaufzeit braucht“

NÜRNBERG - Dreizehneinhalb Jahre lang stand die beliebte Sopranistin als Ensemblemitglied auf Nürnbergs Opernbühne — heute singt sie zum letzten Mal ihre Erfolgsrolle der Violetta in Verdis „La Traviata“
Noch ein Doppelschlag zum Abschied von Opernsängerin Anne Lünenbürger: Die Sopranistin, die vor dreizehneinhalb Jahren nach Nürnberg kam (und deren Vertrag kurz vor der Unkündbarkeit vom neuen Intendanten Peter Theiler nicht mehr verlängert wird), übernimmt heute letztmals die Titelrolle von Verdis „La Traviata", mit der sie seit der Premiere Nürnberger Verdi-Rekord mit 60.000 Zuschauern aufbaute. Am Sonntag beim großen Klassik- Open-Air der Philharmoniker im Luitpoldhain wird sie unter der Leitung von Gastdirigent Rainer Mühlbach aus Tschaikowskys „Eugen Onegin" und Puccinis „La Boheme" singen.
AZ: Frau Lünenbürger, was fällt Ihnen zur finalen Woche Ihrer 14. Nürnberger Spielzeit ein?
ANNE LÜNENBÜRGER: Nachdem es zwischendurch für mich etwas mühsam war mit den Aufgaben quer durch alle Fächer, hat das letzte Jahr nochmal richtig Spaß gemacht mit der „Faust"-Margarete und der Tatjana in „Eugen Onegin". Aber das war mein Problem, dass man mich überall einsetzte.
Von Anfang an, denn Sie haben am Opernhaus gleich zu Beginn die neutönerische Lulu und die Csardasfürstin nebeneinander gesungen. Ging das denn?
Einfach war es nicht, aber so läuft das halt an einem Opernhaus. Da sagt der Chef einfach: Mach das mal!
Der Chef war der berühmt-berüchtigte Eberhard Kloke...
Genau. Er hatte mich engagiert, als ich mir schon überlegte, die Bühnenkarriere abzuschreiben.
Wie das?
Ich war auf der Heimreise von einem Engagement in Bautzen, und da habe ich mir gedacht, für einen letzten Versuch kann ich ja anhalten.
Warum in Nürnberg?
Dort stand ich schon beim Meistersinger-Wettbewerb auf der Bühne, hatte es bis in die dritte Runde geschafft und die Liebe zu diesem Haus entdeckt. Kloke war gründlich, er hat mich acht Arien vorsingen lassen, ehe er mir den Vertrag gab.
Wie überrascht waren Sie von der außergewöhnlichen Art des modernen Musiktheaters, das Sie vorfanden?
Sehr, aber ich fand es im Gegensatz zu vielen Anderen unglaublich spannend. Es hat mir viel gebracht. Ich bin ja eher so ein Diesel-Motor, der einige Anlaufzeit braucht, und in diesem Zusammenhang lernte ich die Schnelligkeit der Reaktion auch auf neue Musik.
Sie waren plötzlich Avantgarde-Sopran und Operetten-Diva zugleich. Ging das gut?
So gut nicht, denn meine Stimme war eigentlich eine satte lyrische für Mozarts Pamina in der „Zauberflöte".
Damals haben Sie aber auch die mörderische Königin der Nacht gesungen...
Ja, alles — Kloke hat es nie so ernst genommen mit den Stimmfächern, wie er ja auch das große Gefühl der Oper nicht bedienen wollte. Da mussten wir durch. Aber „Lulu", die wir uns zu dritt geteilt haben, das war aufregendes Musiktheater wie ich es vorher nicht kannte.
Hinterher waren Sie plötzlich Verdis „La Traviata". Hat Sie der bis heute anhaltende Sensationserfolg überrascht?
In diesem Ausmaß schon, aber ich hatte die Partie sogar zuvor als allererste in meiner Laufbahn gesungen.
Wie kamen Sie überhaupt zur Bühne?
Als Spätzünderin. Ich war schon fast 30, als ich hier in Nürnberg angetreten bin. Ich bin in einem musikalischen Pfarrershaushalt aufgewachsen, mein Vater hatte einen Chor, den ich später übernahm. Dafür war auch ein Kirchenmusik-Studium samt Diplom für Gesangsausbildung fällig.
Wollten Sie etwa Lehrerin werden?
Früher schon. Heute würde ich eher Pizza verkaufen als das zu machen.
In Nürnberg waren Sie weiträumig und erfolgreich im Einsatz. Wollten Sie nie auf die nächste Karrierestufe klettern?
Das hätte ich vielleicht nach drei oder fünf Jahren versuchen sollen. Aber ich bin nun mal ein Ensemble-Mensch, der in einer „Familie" besser arbeiten kann.
Wann ging es am besten?
In Aufführungen wie „Hoffmanns Erzählungen" und „Faust", und ganz besonders jetzt in „Eugen Onegin". Ich gehe bei meinen Partien immer von der Emotion aus, und wenn die Regisseurin genau darauf eingeht und der Dirigent bei den Proben dauernd dabei ist, weiß ich, warum ich Musiktheater liebe. Von so etwas lasse ich mich gerne herausfordern. Ich denke, das sieht man auch am Ergebnis.
Lesen Sie das am Beifall ab?
Auch, aber diesmal besonders an den Worten meines Sohnes. Der wird 21, sieht Oper ziemlich kritisch und hat nach der Premiere gesagt: Mama, du hast schön gesungen. Das höre ich nicht so oft von ihm.
Wie sieht Lünenbürgers Leben nach dem Nürnberg-Vertrag aus?
Ich habe mir überlegt, womit ich überleben kann. Als lyrische Sopranistin sicher nicht! Also werde ich etwas versuchen, was mir schon lange durch den Kopf geht – ich habe im Herbst mein Debüt als „Salome".
Ein Fach-Sprung einfach per eigenem Beschluss?
Sie werden es mir nicht glauben, aber es sieht nach höherer Gewalt aus. Ich bin eines Tages mit der Partitur heimgegangen, um mir die Rolle anzuschauen, da klingelte mir schon das Telefon entgegen. Der Generalmusikdirektor von Aachen war dran und fragte, ob ich das bei ihnen singen will. Jetzt mache ich es und habe das Gefühl, das könnte mir vom Spiel und vom Gesang her liegen.
Sängerinnen, die glaubwürdig dramatische Töne und einen nabelfreien Tanz hinkriegen, gibt es ja nicht viele...
Klar, es wäre der Einstieg in ein Fach, mit dem man auch als gastierende Sängerin gut existieren kann. Vielleicht kommt so nach der Nürnberger Karriere noch eine neue. Wenn nicht, dann wird es halt was Anderes.
Mit „Traviata" ist es aber vorbei. wie viele Tenöre haben Sie in dieser Aufführung denn verschlissen?
Einmal lag ich im Krankenhaus, den Rest von 65 Vorstellungen war ich immer im Einsatz. Acht Tenöre haben in dieser Zeit gewechselt.
Fällt der Abschied von solchen Erfolgsrollen schwer?
Wenn Neues kommt, dann nicht so sehr. Sicher, ich würde zu gerne heute nochmal eine Pamina singen, auch die „Lustige Witwe", die ich hier nicht machen durfte. Aber vielleicht öffnet Salome andere Türen.
Ihre Nürnberg-Bilanz?
Ich bereue nichts - es war vom Anfang und vom Ende her eine gute Zeit! Und ich bleibe hier!