ICE tötet Mutter und Baby

STRAUBING - Sie litt an Depressionen: 33-Jährige lässt sich mit ihrem Kind auf dem Arm vom Zug überrollen – im Auto lag der Abschiedsbrief.
Die Anwohner am Bahnhof Radldorf in Niederbayern ahnten, dass etwas Schlimmes passiert war. Zuerst hörten sie das verzweifelte Hupen des Lokführers, wenig später die Sirenen.
„Normalerweise hupt der ICE nur einmal, wenn jemand zu nahe an den Gleisen steht“, berichtet Wolfgang Hofbauer von der Freiwilligen Feuerwehr. Er wohnt nur 150 Meter von dem kleinen Bahnhof entfernt. „Wenn er drei Mal hupt, ist klar: Da ist jemand auf den Gleisen“. Der Lokführer (35) kann es nicht mehr verhindern: Bei Tempo 100 sieht er eine Frau auf dem Gleis, auf dem Arm trägt sie ihr Baby - ihren erst drei Monate alten Sohn.
Obwohl der Lokführer eine Sofortbremsung einleitet, bleibt der ICE erst nach 400 Metern stehen. Die Frau und ihr Baby haben nicht die geringste Überlebenschance.
50 Feuerwehrleute und Polizisten eilen zum Unfallort. Wolfgang Hofbauer ist einer von ihnen. „Ich hab’ noch den Kinderwagen stehen sehen“, berichtet der Vater von zwei Kindern geschockt.
Bereits nach kurzer Zeit ist klar, es war Selbstmord. Die Frau war 33 Jahre alt und stammt aus einer kleinen Ortschaft in der Nähe. Ihr Auto parkt am Bahnhof. Darin liegt ein Abschiedsbrief. Nach AZ-Informationen schreibt die 33-Jährige darin, dass sie unter Depressionen litt.
Es gibt viele schreckliche Parallelen zum Suizid von Nationalhüter Robert Enke am 10. November im vergangenen Jahr. Auch er hatte Depressionen. Auch er ließ sich nur wenige Kilometer von seinem Wohnhaus entfernt von einem Zug töten. Auch er stellte sich aufs Gleis, sah dem Zug entgegen.
Außer dem Säugling, den die 33-Jährige mit in den Tod nahm, hatte die Mutter noch zwei Kinder. Sie sollen im Vorschulalter sein. Die Frau war verheiratet.
In dem 700-Seelen-Ort Radlberg fürchteten die Menschen, die verzweifelte Frau könne eine von ihnen gewesen sein. „Das ist vermutlich jemand, den wir persönlich kennen“, sagte eine Frau, „eine schreckliche Vorstellung, ich habe selbst ein kleines Enkelkind“.
Die etwa 100 Reisenden im ICE, die auf dem Weg von Wien in Richtung Frankfurt am Main unterwegs waren, wurden von der Feuerwehr auf offener Strecke über eine Holzrampe aus dem Zug begleitet. Busse brachten sie zum Regensburger Bahnhof. Die Unfallstrecke war stundenlang gesperrt. Der ICE musste wegen eines technischen Defekts abgeschleppt werden.
Hasso von Winning, der Pfarrer von Straubing, eilte als Notfallseelsorger zur Unfallstelle und betreute den Zugführer. Er erlitt einen Schock. Für den 35-Jährigen war es nicht das erste Mal, dass er gezwungen wurde, mit seinem Zug einen Mensch zu überfahren.
jo, job, dur