Hubert Weinzierl: „Ein Krieg gegen die Schöpfung“

München - Der 1935 geborene Biobauer, Naturphilosoph und Dichter prägte fast ein halbes Jahrhundert lang die deutsche Umweltpolitik. Hubert Weinzierl ist Mitbegründer des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND).
Es ist ein altes Wittelsbacher-Schloss im Bayerischen Wald, umgeben von uralten Bäumen, das Hubert Weinzierl zu seiner Heimat gemacht hat. Am Donnerstag erwarten er und seine Frau Beate Seitz-Weinzierl hier rund 100 Gäste. Vor der großen Feier spricht der mittlerweile erblindete Umweltpolitiker über sein Leben für die Schöpfung.
Sie gelten als Doyen der deutschen Umweltbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie kamen Sie zum Umweltschutz?
HUBERT WEINZIERL: Das hat tiefenpsychologische Hintergründe. Ich bin als Kind im Luftschutzbunker aufgewachsen. Ich hatte in den Bombennächten immer schreckliche Angst und bin dann in die Natur geflohen. In den Ingolstädter Donauauen oder hier im Bayerischen Wald, wo mein Onkel lebte, gab ich mich der Illusion hin, hier die gesunde Welt zu finden und die anständigeren Lebewesen. Nach dem Krieg musste ich aber leider schnell erkennen, dass auch in meinen Refugien ein Krieg tobte, ein Krieg gegen die Schöpfung.
Sie haben sich zunächst im praktischen Natur- und Artenschutz engagiert. Wann wurden Sie zum politisch engagierten Umweltschützer?
Während meines Studiums der Land- und Forstwirtschaft in München traf ich Menschen wie den großen Verhaltensforscher Konrad Lorenz oder den Zoologen Bernhard Grzimek, die ähnlich dachten wie ich. Die haben mich, den Jungen, auf die Schiene gesetzt.
Einer Partei haben Sie nie angehört?
Ich war immer der Überzeugung, dass Umweltschutz eine Aufgabe ist, die die ganze Menschheit lösen muss.
Was war umweltpolitisch Ihre härteste Nuss?
Es gab sehr viele harte Nüsse. Besonders schwer war es, das anthropozentrische Denken zu durchbrechen, den Machbarkeitswahn, und ein anderes, von Liebe geprägtes Verhältnis zur Schöpfung zu entwickeln.
Und Ihre schmerzlichste Niederlage?
Was die Zerstörung einer Kulturlandschaft in Bayern anbelangt, war das der Bau des Rhein-Main-Donaukanals. Auf einer anderen Ebene quält mich die Tatsache, dass wir das Artensterben nicht aufhalten können. Der Verlust an Vielfalt, das Zerreißen des Netzwerks des Lebens schmerzt mich ungemein.
Was bewegt Sie zur Zeit am meisten?
Die immer stärkere Industrialisierung unserer Landwirtschaft und die Energiewende.
Und auf globaler Ebene?
Die Tatsache, dass 20 Prozent der Erdbevölkerung über 80 Prozent der Ressourcen verfügen, ist ein untragbarer Zustand. Wir müssen teilen lernen und dem Verzicht eine neue Qualität abgewinnen: Weniger macht oft glücklicher.
Sie haben sich jüngst zum Ehrenpräsidenten des Vereins für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern, wählen lassen, in dem sich viele Windkraftgegner organisiert haben. Das hat Ihnen Kritik seitens Ihrer früheren Mitstreitern eingetragen ...
Wenn wir auf Atom und Kohle verzichten wollen, brauchen wir die alternativen Energien. Doch es muss hart abgewogen werden, welche Landschaften wir für Wind, Sonne, Biogas, Energiespeicher und Hochspannungsleitungen noch in Anspruch nehmen können.
Sie haben privat viele Gedichte geschrieben, sehr anrührende Naturlyrik. Haben Sie noch die Kraft zum Schreiben?
Ja, Kraft und Lust habe ich noch. Leider kann ich infolge meiner Blindheit nicht mehr selbst schreiben, ich muss alles diktieren. Meine neuesten Gedichte kommen „... aus dem Dunkeln ...“. Ich will sie möglichst bald herausbringen, damit ich das noch erlebe.