Interview

Hubert Aiwanger über die Zweite Stammstrecke: "Der Bahn ist das Thema entglitten"

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im AZ-Interview über den Speicher Haidach, Fracking im Norden und die Zweite Stammstrecke.
Ralf Müller |
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Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Wirtschaftsminister in Bayern.
Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Wirtschaftsminister in Bayern. © Tobias Hase/dpa

AZ-Interview mit Hubert Aiwanger: Der 51-Jährige ist Bundesvorsitzender der Freien Wähler und seit 2018 Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und stellvertretender Ministerpräsident.

AZ: Herr Staatsminister, die Bürger werden völlig verunsichert, was die Lage im kommenden Winter angeht. Einerseits heißt es, es werde ziemlich schlimm und kalt, andererseits heißt es, so schlimm werde es gar nicht. Wie ist die Lage an der Gasfront derzeit?
HUBERT AIWANGER: Die Gasspeicher sind mittlerweile mit gut zwei Drittel ganz ordentlich gefüllt, auch der für Bayern sehr wichtige Gasspeicher Haidach in Österreich wird seit dem 1. August verstärkt befüllt und hat derzeit einen Füllstand von 20 Prozent. In 90 Tagen soll er voll sein. Ich habe mich bei einem Besuch vor Ort selbst von der Lage überzeugt und wichtige vertrauensbildende Gespräche mit den Österreichern geführt.

Aiwanger ist gegen ein Gasembargo

Also Teilentwarnung?
Mittlerweile sind wir generell nicht mehr so stark auf russisches Gas angewiesen wie vor einigen Monaten. Wir bekommen auch viel Gas aus Norwegen, den Niederlanden und anderen. Trotzdem gilt auch für die nächsten ein bis zwei Jahre: Ganz ohne russisches Gas kommen wir nicht aus und müssten schmerzhafte Einschnitte im Verbrauch tätigen, wenn kein Gas mehr aus Russland käme. Deshalb war ich von Anfang an gegen ein Gasembargo und plädiere für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, um Gasverbrauch zur Stromerzeugung zu reduzieren oder auch gezielt Gas durch Strom ersetzen zu können, wo möglich.

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Verwirrend sind auch die Informationen über diesen großen Gasspeicher Haidach, der in Österreich liegt und von dem bisher nur Leitungen nach Bayern führen. Österreich will ihn anzapfen, heißt es. Geht das so einfach? Wem gehört denn das dort eingelagerte Gas? Können Sie da mal etwas Klarheit schaffen?
Bisher kann aus diesem Speicher nur nach Deutschland ausgespeichert werden, Deutschland versorgt im Gegenzug Tirol und Vorarlberg mit Gas, weil es von Österreich aus nicht bedient werden kann. Wir sind hier ein einheitlicher Wirtschaftsraum und eine Verantwortungsgemeinschaft. Der zusätzliche Anschluss der Österreicher ist ein sehr kleiner, hat je nach Fertigstellung eventuell sogar Vorteile bei der Befüllung, kann aber nicht dazu führen, dass Österreich beispielsweise Deutschland abregelt und sich nur selbst das Gas rausholt. Das Gas gehört den Gashändlern, die es einlagern, respektive liegt der Zugriff bei ihnen.

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Ministerpräsident Söder hat kürzlich angeregt, Fracking im Norden Deutschlands zu prüfen. Die Freien Wähler haben dies gerade strikt abgelehnt. Ist das auch Ihre Position?
Niedersachsen fördert seit Jahren schon Erdöl und Erdgas. Ich habe vor einigen Jahren selbst schon eine solche Förderstelle besichtigt. Es werden allerdings zu Recht strenge Maßstäbe angelegt an Grundwasserschutz und so weiter. Niedersachsen hat noch vor dem Ukrainekrieg Bohrungen in Wasserschutzgebieten ausgeschlossen. Nennenswerte Ausweitungen der Förderung sind sehr sensibel zu bewerten und würden Jahre dauern. Ich glaube, dass wir hier mit einer aktuellen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke kurzfristig mehr gewinnen können.

Noch vor wenigen Jahren haben Sie mit örtlichen Bürgerinitiativen gegen Stromleitungen Stimmung gemacht und den Bau von Gaskraftwerken gefordert. Jetzt fordern Sie das Herunterfahren von Gas-Großkraftwerken. Bekennen Sie sich zu diesen Fehleinschätzungen?
Ich habe diese Energiestrategie in Verbindung mit grünem Wasserstoff gefordert. Gaskraft im Süden, gefüttert mit grünem Wasserstoff, der überwiegend über bestehende Pipelines zu uns kommen muss, um die Energielücke zu den Erneuerbaren zu schließen und auch Grund- und Spitzenlast zu liefern. Genau das strebt man ja jetzt an, nämlich Gaspipelines bis 2030 auf Wasserstoff umzustellen. Die Fertigstellung der großen Stromtrassen ist für 2028 geplant. Wenn man damals schon auf mich gehört hätte und die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland früher angegangen wäre, stünden wir jetzt besser da. Aber ich wurde ja für solche Gedanken noch vor zwei Jahren vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) belächelt und auf Ende der 2030er Jahre vertröstet. Als bayerischer Wirtschaftsminister habe ich dann die bundesweit erste Wasserstoffstrategie vorgelegt, der Bund hat nachgezogen. Zehn Jahre zu spät.

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Darf man Ihnen und den Freien Wählern zu der von Anfang an wohl richtigen Einschätzung gratulieren, dass der Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München eine Fehlentscheidung war?
Wir hatten von vielen namhaften Experten die Bewertung, dass es eben baulich äußerst schwierig werden wird und die Kosten deutlich höher würden als die ursprünglich geplanten 1,8 Milliarden Euro. Auch hier wurden wir ausgelacht und als inkompetent hingestellt. Alternativplanungen wie Ertüchtigung der Außenäste, Südring, Bahnsteigtüren et cetera hätte man eventuell ernsthafter prüfen müssen. Keinesfalls darf dieses Projekt zulasten anderer Verkehrsvorhaben im ländlichen Raum gehen. Das haben wir Freien Wähler damals wie heute gesagt.

Es irritiert, dass die Bahn angeblich nicht weiß, wie viel das S-Bahn-Projekt am Ende kostet, aber genau angibt, was ein Baustopp kostet, nämlich drei Milliarden Euro. Muss das nicht misstrauisch machen? Stimmen Sie mit dem jetzt von Söder vorgegebenen Kurs des Weitermachens auf alle Fälle überein? Ist das ein Freibrief für alle fahrlässigen Kostenüberschreitungen?
Wir brauchen jetzt schnellstmöglich Klarheit, was da auf uns zukommt, ich habe aber den Eindruck, dass es bei der Bahn niemanden gibt, der den Gesamtüberblick über das Vorhaben hat. Das Thema ist ihnen entglitten. Einen Blankoscheck für dieses Organisationsversagen auf Kosten der Steuerzahler darf es nicht geben.

Ein kleines Fenster im Bauzaun gibt die Sicht frei auf die Baustelle der zweiten Stammstrecke.
Ein kleines Fenster im Bauzaun gibt die Sicht frei auf die Baustelle der zweiten Stammstrecke. © Peter Kneffel/dpa

Bitte geben Sie eine Prognose ab: Wird das Kernkraftwerk Isar 2 im Frühjahr 2023 noch in Betrieb sein?
Ja. Sogar noch im Sommer.

Halten Sie die Wiederinbetriebnahme von drei Kernkraftwerken, darunter Gundremmingen C, die zum 31. Dezember vergangenen Jahres abgeschaltet wurden, wirklich für rechtlich und technisch möglich?
Auf alle Fälle für energiewirtschaftlich dringend nötig. Rechtlich möglich. Technisch mit jedem Tag schwieriger, weil der Rückbau fatalerweise ungehindert fortschreitet. Die Bundesregierung verzögert eine Entscheidung zur Wiederinbetriebnahme absichtlich, um in einigen Wochen sagen zu können, es geht nicht mehr. Seit März dieses Jahres fordern wir, sich die Sache genau zu überlegen. Der Bund verzögert. Das ist fahrlässig oder gar vorsätzlich.

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  • Der wahre tscharlie am 05.08.2022 15:37 Uhr / Bewertung:

    Nachdem es Aiwanger in dem Interview nicht sagt, schreibe ich es. Der Gasspeicher Haidach gehört der RAD Austria. Zitat: "RAG betreibt die Erdgasspeicher Puchkirchen/Haag, Aigelsbrunn und Haidach 5 in Straßwalchen sowie einen Teil von 7Fields (auch als Seven Fields geschrieben), die durch die 100%ige Tochtergesellschaft RAG Energy Storage GmbH vermarktet werden."

    Man kriegt nämlich den Eindruck, als gehöre der Gasspeicher uns.

    Und was die 2. Stammstrecke betrifft, "......ich habe aber den Eindruck, dass es bei der Bahn niemanden gibt, der den Gesamtüberblick über das Vorhaben hat."..... warum hat die Staatsregierung mit ihrem Koalitionspartner geschwiegen, obwohl schon 2020 vor einer Kostenexplosion gewarnt wurde?

  • Bongo am 05.08.2022 17:21 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der wahre tscharlie

    Kostenexplosionen für ein Bauvorhaben, daß vermutlich erst 2037 oder später fertiggestellt ist, wird es noch viele geben.Das war bisher stets der Fall (Siehe Flughafen BER, Elbphilharmonie, Stuttgart21 usw.) und wird auch künftig der Fall sein.

  • Bongo am 05.08.2022 17:38 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der wahre tscharlie

    Aiwanger hat in dem Interview auf die Frage der AZ „wie ist die Lage an der Gasfront derzeit“ geantwortet. Die Frage war also nicht, wie die Rechtsverhältnisse am Gasspeicher Haidach sind. Wieso sollte er also diese ungefragt darzulegen.

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