Horst Seehofer: "Rechtsruck in der CSU hat es nie gegeben"

AZ: Herr Seehofer, am Samstag werden Sie nach mehr als zehn Jahren den CSU-Parteivorsitz abgeben. Muss man Sie sich als einen zufriedenen Menschen vorstellen?
HORST SEEHOFER: Ja. Ich bin rundum zufrieden. Ich schaue auf ein erfülltes politisches Leben. 39 Jahre an vorderer und vorderster Front der bayerischen und deutschen Politik. Und das Werk war nicht nur lang, es ist insgesamt auch geglückt.
Resultiert die Zufriedenheit auch daher, dass Sie es geschafft haben, länger als Bundeskanzlerin Angela Merkel den Parteivorsitz zu behalten?
Das ist ein netter Zufall, aber hat nichts mit Planung zu tun.
Sie wirken völlig entspannt, die CSU setzt ganz auf Harmonie, die CDU auch. Ist das nicht fast langweilig?
Unsinn, das ist ja auch nur eine Momentaufnahme. So wird es nicht auf Dauer bleiben. Es wird auch mal wieder Debatten geben, in denen es zu Spannungen zwischen bayerischen und Bundesanliegen kommt. Nehmen Sie den Digitalpakt, der gerade ansteht, und bei dem wir bayerische Bildungspolitik verteidigen müssen. Oder die Reform der Grundsteuer, die der SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz plant und die keine verkappte Vermögenssteuer werden darf – denn die würde das erfolgreiche Bayern besonders hart treffen. Ein CSU-Chef muss also immer balancieren zwischen Bavaria First und dem Bund. Das habe zumindest ich immer so gehalten. Wir waren in meiner Zeit als Parteivorsitzender ja auch immer in der Regierung, in Bayern und in Berlin. Das ist nicht jedem Parteivorsitzenden vergönnt.
Wenn wir schon von Markus Söder sprechen: Der hat gerade wieder einen "Neuanfang" in Berlin gefordert. Was meint er damit?
Das müssen sie ihn selber fragen. Die Große Koalition arbeitet gut, sie produziert sehr viel Positives fürs Land, und zwar alle Koalitionspartner. Deshalb habe ich zwei Aussagen der jüngeren Vergangenheit nicht verstanden: Dass wir zur Sacharbeit zurückkehren müssen, denn wir arbeiten von der ersten Stunde an der Sache. Und ein Neuanfang kann sich ja allenfalls auf Stilfragen beziehen, denn inhaltlich arbeiten wir voll an der Realisierung des Koalitionsvertrages.
Für uns klang aus Söders Worten auch der Wunsch nach einem personellen Neuanfang in Berlin, sprich: Ihre Ablösung als Bundesinnenminister.
Markus Söder hat immer von Stabilität gesprochen, auch in Bezug auf Personen. Bevor Sie weiter nachfragen: Wir haben eine gute Zusammenarbeit, Markus Söder und ich. Wir haben im vergangenen Jahr einen guten Dualismus gepflegt und uns gegenseitig nicht in unsere Aufgaben hinein geredet. Jetzt wird Markus Parteivorsitzender und hat die riesige Aufgabe vor sich, die Sonderstellung der CSU in der deutschen Politik zu bewahren. Ich bin sicher, das kann er auch schaffen. Sonst stellen sich da keine Fragen.
Kommen wir zur Europawahl. Wie müsste die CSU abschneiden, damit wieder Ruhe in der Partei einkehrt?
Na ja, wir haben einen allseits anerkannten Spitzenkandidaten für die Europawahl, Manfred Weber. Er ist ja nicht nur der Spitzenkandidat von CSU und CDU, sondern auch der gesamten europäischen Volkspartei. Da hoffe ich schon auf ein Ergebnis von über 40 Prozent.

Manfred Weber steht auch dafür, dass die CSU nicht mehr so polarisieren will, wie Sie es voriges Jahr getan haben.
Einen Rechtsruck der CSU hat es nie gegeben. Was wir zur Migrationspolitik vertreten haben, war von allen CSU-Gremien getragen. Das hat manchmal sogar zur Einschätzung im Flüchtlingsstreit geführt, ich sei in Wahrheit ein Getriebener Wenn man aus dem Streit des Sommers Konsequenzen ziehen will, dann betrifft das nicht inhaltliche Fragen. Sondern Stilfragen.
Aber die Kritik entzündet sich vor allem an Ihrem Stil!
Ich gebe zu, dass manche unserer Anhänger über einige Aussagen irritiert waren. Aber vieles davon stammt nicht von mir.
Also gilt Ihr Satz vom vorigen Jahr noch, gegen Sie werde eine Kampagne gefahren?
Es ging in vielen Medien gegen mich als Person. Man hat mich in die rechte Ecke gestellt, sogar mit Beate Zschäpe wurde ich verglichen. Oder ich war der Gefährder, der partout Bundeskanzlerin Angela Merkel stürzen wollte. Nichts davon hat gestimmt.
Aber oft kam die Kritik doch von Ihren Parteifreunden, nicht von den Medien.
Lassen wir doch die Vergangenheit ruhen. Wer immer nur in den Rückspiegel schaut, fährt irgendwann gegen die Wand.
Tauschen Sie sich eigentlich regelmäßig mit Frau Kramp-Karrenbauer aus?
Wir kennen uns sehr gut und haben als Ministerpräsidenten vertrauensvoll zusammengearbeitet, etwa beim Länderfinanzausgleich. Ich habe Frau Kramp-Karrenbauer sogar geholfen, dass sie für das Saarland Sonderzuweisungen bekommt, weil sie dort einen Strukturwandel durchgemacht haben mit Kohle und Stahl, für den sie nichts können.
Wird AKK nächste Kanzlerin?
Ich halte jede Debatte über eine Kanzlerkandidatur so lange vor der nächsten Bundestagswahl für vollkommen überflüssig.
Wird Bundeskanzlerin Angela Merkel also bis zum Ende der Legislaturperiode Kanzlerin bleiben?
Richtig. Sie beschreiben die Fakten. Darin seid Ihr Journalisten gut.
Danke. Vorigen Sommer haben Sie uns in einem Interview versichert, Sie und Frau Merkel blieben bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt.
Sie zitieren mal wieder unvollständig. Ich habe auch gesagt, dass eine Regierung immer von den Wahlen abhängt, die dazwischen liegen. Kein Mensch kann prognostizieren, wie die Europawahl und die nächsten Landtagswahlen ausgehen. Da können wir uns in der Großen Koalition noch so viele Liebeseide schwören – wenn das Wahlergebnis nicht stimmt, löst das immer Diskussionen aus.
Was erwarten Sie beim Parteitag am Samstag? Einen Präsentkorb, den Ehrenvorsitz?
Ich gehe mit überhaupt keiner Erwartungshaltung in den Parteitag.
Sie kommen aber schon?
Ich komme natürlich und ich werde auch reden. Aber nicht lange. Mein Werk ist getan. Ich werde zu manchem, was in den vergangenen eineinhalb Jahren passiert ist, nichts sagen. Die Einheit der Partei ist mir viel wichtiger. Beim Parteitag wird Markus Söder zum neuen Parteivorsitzenden gewählt, ich werde ihn dafür vorschlagen. Und dann hat er die Verantwortung und ich die Erleichterung, diese Verantwortung nicht mehr tragen zu müssen. Denn Parteivorsitzender zu sein, bedeutet eine ganz schwierige Verantwortung, die auch immer wieder zu einer echten Last wird.
Wenn Sie auf Ihre Tätigkeit als Bundesinnenminister zurücksehen: Bereuen sie da etwas?
Gar nichts. Ich habe viele Dinge nach vorne gebracht, man muss sich aber auch mal vor Augen führen, mit welchen Herausforderungen ich klar kommen musste. Da war der Fall Maaßen, da war die BamF-Affäre in Bremen und die Auswechslung der Behördenspitze, da war die Cybersicherheit. Ich hatte in neun Monaten viel Unerwartetes, das auf mich eingeströmt ist. Und trotzdem haben wir im Haus unsere Hausaufgaben gemacht: Den Familiennachzug beispielsweise haben wir geregelt oder das Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg gebracht.
Klingt vielbeschäftigt. Denken Sie trotzdem mit 69 Jahren ab und zu über die Rente nach?
Ich habe mir über die Weihnachtstage und den Jahreswechsel wirklich mal wieder Zeit genommen für Freunde und Familie. Und ich habe festgestellt, dass mir dieser Zustand auch behagen würde. Jedenfalls habe ich nicht die geringste Angst vor dem Ruhestand. Auch dann könnte ich mir noch einiges vorstellen – etwa, dass ich meine Erfahrungen aus fast 40 Jahren Politik in Buchform fasse.