Horst Seehofer: Merkel hat viel mehr Kraft als ihre Zweifler
Bundesinnenminister Horst Seehofer feiert am Donnerstag seinen 70. Geburtstag. Ein Gespräch über seine vielen politschen Siege und Niederlagen - und Old Shatterhands Faust.
München - Der 70-jährige Ingolstädter war von 2008 bis 2018 bayerischer Ministerpräsident und von 2008 bis 2019 CSU-Vorsitzender. Seit März 2018 ist er Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
AZ: Herr Seehofer, wir haben ein unglaubliches Geschacher um die EU-Posten hinter uns. Andere Länder haben Bundeskanzlerin Angela Merkel auflaufen lassen. Hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr die Kraft, um sich auf europäischer Ebene durchzusetzen?
Horst Seehofer: Ach, ich sage Ihnen eines: Die Bundeskanzlerin hat viel mehr Kraft als all jene, die ihre Kraft in Zweifel ziehen.
Wir meinten eigentlich die politische Kraft von Bundeskanzlerin Angela Merkel und nicht die körperliche. Ihre Reaktion zeigt, dass sie Fragen nach dem Gesundheitszustand von Politikern nicht mögen. Aufgrund eigener Erfahrungen?
Ich bin selber das Opfer vieler, vieler Ferndiagnosen geworden. Deshalb ärgert mich so etwas. Kein Politiker ist so häufig für dienstunfähig erklärt worden wie ich – meistens von eigenen Parteifreunden.
Dürfen Politiker keine Schwäche zeigen?
Ein Politiker, der ernsthafte gesundheitliche Probleme hat, wird nicht darum herumkommen, sie offenzulegen. Ich habe das 2002 ja selbst erlebt. Damals hatte ich noch sieben Prozent Herzleistung und lag auf der Intensivstation. Aber wir sollten aufhören, in alles und jedes etwas hineinzudeuten.
Was machen Sie an Ihrem 70. Geburtstag?
Ich nehme mir einen Tag frei und verschwinde. Ich möchte keine Empfänge. Nur Zeit mit meiner Familie.
Kein Anlass zum Feiern?
Doch, es ist ja ein stolzes Datum, an dem man auf sein Leben blickt.
Und was sehen Sie da, wenn Sie auf Ihr Leben blicken?
Eine unglaubliche Buntheit. Ich habe sehr viel Glück gehabt.
Sie haben auch Rückschläge kassiert und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Vergisst man das im Nachhinein?
Wir alle neigen dazu, die Vergangenheit zu verklären. Das will ich nicht tun. Für mich ist das ganze Leben eine Baustelle, da gelingt manches besser, manches schlechter. Es gehört zu unserem Leben, dass Fehler passieren, dass es Rückschläge und Schicksalsschläge gibt. Und die muss man verarbeiten. Helmut Kohl hat immer gesagt: Es gibt kein Politikerleben ohne Wunden und Narben. Und wenn Sie das für sich akzeptieren, dann müssen Sie nicht in der Vergangenheit herumwühlen, sondern können aus der Zeit, die Ihnen noch gegeben ist, das Beste machen.
Sie machen seit fast 50 Jahren Politik, was war Ihr schwierigster Job?
Der jetzige. Mit Abstand. Alles, was wir in diesem Ministerium machen, betrifft die Sicherheit und das Leben der Menschen in unserem Land. Hier werden Entscheidungen getroffen, die 83 Millionen Menschen angehen. Das ist eine große Verantwortung. Und aus der Verantwortung erwächst Belastung. Als ich hier antrat, hat mir mein Büroleiter als Erstes gesagt: Herr Minister, deponieren Sie eine schwarze Krawatte in Ihrem Büro. Er meinte damit, dass jeden Moment etwas Schlimmes passieren kann.
Seehofer: "Bonn, das war im Vergleich zu heute geradezu gemütlich"
Nach dem schönsten Amt brauchen wir nicht zu fragen. Bayern ist laut Ihrer Aussage schließlich die Vorstufe zum Paradies…
…und Ministerpräsident dieses wunderschönen Landes zu sein, ist ja fast königsgleich.
Was hat sich in der Zeit geändert, seit Sie in die Politik gegangen sind?
Alles. Ich war 28 Jahre in Bonn, das war im Vergleich zu heute geradezu gemütlich. Die Gesellschaft hat sich verändert, die Vorstellung von Politik, die Umgangsformen. Jede Generation hat ihre Themen. Ich erinnere mich noch gut, wie meine Eltern in meiner Jugendzeit auf die Beatles reagierten. Das war ein täglicher Kampf im Elternhaus. Und heute gibt es eben wieder eine junge Generation mit anderen Ideen, und da sollten wir Älteren nicht als Vormund auftreten.
Das Mega-Thema dieser Tage ist der Klimaschutz, hat die Union das verpennt?
Ich hatte die ökologische Frage schon in meinen Jahren als Ministerpräsident im Blick. Ich habe zum Beispiel alles dafür getan, dass die dritte Startbahn am Münchner Flughafen nicht gegen den Willen der Bevölkerung gebaut und die Donau nicht zubetoniert wurde. Und ich kämpfe dafür, dass wir die Soziale Marktwirtschaft auch ökologisch ausrichten.
Ihnen würde eine schwarz-grüne Koalition gefallen – oder eine grün-schwarze?
Ich bin immer sehr dafür, dass die Schwarzen das Notwendige selber erledigen. Wir wollen bei der Ökologie nicht in einen Wettlauf eintreten oder Parolen übernehmen, sondern als Union selbst mit klaren Konzepten den Erhalt der Schöpfung sicherstellen.
Sie sprechen gerne über die Versprechen, die Sie eingehalten haben. Manches ist auch nicht gekommen. Die Maut zum Beispiel. Ärgert Sie das?
Ich verstehe es nicht. Natürlich weiß ich auch, dass man in einem Rechtsstaat ein Gerichtsurteil akzeptieren muss. Aber ich verstehe es nicht. Wir zahlen überall und andere bezahlen nichts, wenn sie unsere Autobahnen benutzen.
Horst Seehofer glaubt noch an die Maut
Aber in anderen Ländern wie Österreich zahlen eben auch die Einheimischen Maut…
Das sind jetzt so Feinsinnigkeiten. Fakt ist: Wir wollten die deutschen Autofahrer, die auch eine Maut bezahlt hätten, an anderer Stelle – bei der Kfz-Steuer – entlasten. Und wie wir unsere Steuern gestalten, ist doch unsere Sache.
Klingt nicht so, als hätten Sie das Thema schon aufgegeben?
Man kriegt nicht in allen Fällen Recht, mein Politikerleben wäre ja das erste auf diesem Planeten, das ohne Rückschläge verlaufen würde. Und natürlich macht man auch Fehler. Aber die Maut habe ich nicht endgültig beerdigt. Jetzt lassen wir mal den Rauch verziehen und dann überlegen wir, wie man das gestalten kann.
Ihre Karriere war ein Auf und Ab. Sie wurden als CSU-Chef nicht gerade mit offenen Armen empfangen, haben die Partei zur absoluten Mehrheit geführt und mussten nach einem schwachen Wahlergebnis eher unrühmlich abtreten.
Ich sage ja, das Leben ist eine Baustelle. Ich habe als Politiker nie ein Netz geknüpft, um mich selber für den Notfall abzusichern. Ich wollte mich Kraft meiner eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten behaupten. Mir wurde nichts geschenkt und gerade das hat mich motiviert. Ich habe mich immer um eine klare Haltung bemüht. Und dafür bekommt man eben auch mal Ärger. Das ist mein Leben und das macht mir keinen Kummer.
Die CDU steht gerade vor der Frage, wie sie mit der AfD umgehen soll. Die CSU hat das hinter sich. Haben Sie einen Tipp für die Schwesterpartei?
Vertrauen in der Bevölkerung gewinnt man durch klare eigene Positionen. Sie werden keinen Erfolg haben, wenn Sie andere kopieren. Wir müssen AfD-Leuten offen die Stirn bieten, wenn sie etwas besonders Unappetitliches tun oder sagen. Abgesehen davon empfehle ich, diese Partei nicht zum Mittelpunkt unserer politischen Auseinandersetzung zu machen.
Seehofer über seine Kindheit: "Karg, aber schön"
Ist der Ton insgesamt härter geworden?
Absolut. Wenn ich mir anschaue, wie in Sozialen Netzwerken miteinander umgegangen wird, wühlt mich das sehr auf. Wenn beispielsweise der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke im Internet gefeiert wird, dann ist das ein unfassbarer Verfall der politischen Moral, dem wir nicht zuschauen dürfen. Ich will mir das oft gar nicht mehr zumuten und freue mich dann über meine Fähigkeit, abschalten zu können, in die Natur zu gehen oder einfach ein Buch zu lesen. Da kommen Sie dann auf ganz andere Gedanken. Ich gehe auch nicht in Talkshows, weil ich dieses ständige Ins-Wort-fallen und Übereinander-herfallen und gegenseitige Herabsetzen einfach nicht mehr mitmachen wollte. Ich bin sehr für den politischen Streit und wer mich kennt, weiß, dass da durchaus auch mal die Fetzen fliegen können. Aber persönliche Verunglimpfung ist indiskutabel.
Politiker werden immer häufiger Opfer von verbaler, aber auch körperlicher Gewalt.
Das ist ein ganz ernster Vorgang. Die Verrohung, der Verfall von guten Sitten und der Moral ist ein gesellschaftliches Problem. Es geht ja noch weiter, auch Behördenleiter, Rettungskräfte und Polizei werden angefeindet. Und da hat das Internet viel dazu beigetragen. Die Sprache ist eine ganz andere, wenn Sie etwas in die Tastatur tippen, als wenn Sie jemandem von Angesicht zu Angesicht begegnen. Es hat auch etwas mit dem Freizeitverhalten zu tun. Früher waren wir als Kinder viel draußen und einmal im Jahr ist man dann vielleicht ins Kino gegangen.
Was haben Sie dann angeschaut?
Die Karl-May-Filme natürlich.
Ihre Lieblingsfigur?
Schon der Old Shatterhand. Ein bisschen Schmackes, die Faust – das hat mir schon gefallen. Wir hatten eigentlich eine schöne Kindheit, karg aber schön, obwohl wir nix anderes hatten als die Natur.
Was machen Sie eigentlich, wenn die Zeit in der Politik vorbeigeht?
Meine Frau hat schon gesammelt, welche Museen sie besuchen möchte. Das machen wir miteinander. Sie glauben gar nicht, welche banalen Sehnsüchte entstehen, wenn Sie so lange Politik machen.
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