Interview

Höhenbergsteigerin Billi Bierling im Interview: "Der Everest ist eine Trophäe"

"Bin ich in Nepal, ziehen mich die majestätischen Berge magisch an. Wenn ich auf einem Achttausender stehe, dann bedeutet das für mich Freiheit. Und pures Glück", sagt Billi Bierling im Gespräch mit der AZ.
von  Andreas Haslauer
Höhenbergsteigerin Billi Bierling (55) bei einem Besuch in ihrer Heimat Garmisch-Partenkirchen. Am 18. Februar erscheint ihr Buch "Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern" (Tyrolia Verlag, 240 Seiten, 28 Euro).
Höhenbergsteigerin Billi Bierling (55) bei einem Besuch in ihrer Heimat Garmisch-Partenkirchen. Am 18. Februar erscheint ihr Buch "Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern" (Tyrolia Verlag, 240 Seiten, 28 Euro). © dpa/Angelika Warmuth/dpa

AZ-Interview mit Billi Bierling: Die Höhenbergsteigerin aus Garmisch ist Chefin der "Himalayan Database". Seit 2004 lebt sie in Kathmandu. Ein Gespräch über Reinhold Messner und Menschen, die sich Himbeeren einfliegen lassen.

AZ: Frau Bierling, Hubert von Goisern hat mal gesagt, dass ihn eine vollkommen flache Landschaft depressiv mache. Geht es Ihnen genauso?
BILLI BIERLING: Bei mir war es früher genau andersherum. Die Berge haben mich - und Garmisch ist ja hier von denen total eingekesselt - massiv eingeengt. Als Freigeist waren mir damals die Berge immer im Weg. Ganz nach dem Motto der Schweizer Jugendbewegung: "Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer". Eigentlich fand ich früher alles, was mit den Bergen zu tun hatte, schrecklich. Vor allem das Wandern mit meinen Eltern war für mich eine Tortur.

Heute kraxeln Sie auf die höchsten Berge der Welt.
Dass Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin immer noch keine leidenschaftliche Wanderin. (lacht) Das, was mir Spaß macht, sind Ultraläufe wie der 100-Kilometer-Run rund um die Zugspitze. Bin ich in Nepal, ziehen mich die majestätischen Berge magisch an. Wenn ich auf einem Achttausender stehe, dann bedeutet das für mich Freiheit. Und pures Glück.

"Für mich zählt die körperliche Herausforderung"

"Für eine Gesellschaft, die Produktivität und Profit zum Maßstab des Wohlstandes erhoben hat, ist es absurd, auf Berge zu steigen", sagt Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner gerne. Was gibt das Ihnen?
Was bringt es der Gesellschaft, wenn ich morgens joggen gehe? Für mich zählt die körperliche Herausforderung. Nehmen Sie nur den Broad Peak. Vor vier Jahren habe ich 36 Stunden vom Hochlager bis zum Gipfel des Achttausenders gebraucht, danach war ich vier Wochen schlapp. Das war so unfassbar anstrengend, das können Sie sich gar nicht vorstellen.

Wie lange müssten Sie im Tal joggen, um so kaputt zu sein?
Na ja, in etwa so, als würde ich von Garmisch nach Stuttgart joggen.

Das sind fast 300 Kilometer!
Mit einem solchen Ultra-Run begeistern Sie heute niemanden mehr. Wenn Sie aber jemandem sagen, dass sie schon mal auf dem Mount Everest standen, dann finden das die Leute klasse. Das, was früher der Marathon war, ist heute ein Achttausender. Ich muss aber auch sagen, dass viele Leute, die einigermaßen fit sind, heute eine gute Chance haben, mithilfe von Sherpas und Fixseilen auf den Everest zu kommen. In manchen Fällen kann man vielleicht sogar sagen, dass sie von den Sherpas fast hochgezogen wurden.

Seit 2004 arbeiten Sie bei der Himalayan Database. Was machen Sie da?
Bis vor fünf, sechs Jahren haben wir mit allen Menschen, die nach Nepal für eine Expedition reisten, Interviews geführt. Damit wollen wir als Chronisten gewährleisten, dass wir alles, was die Bergsteiger bei uns machen, für die Nachwelt festhalten. Ich will schon im Vorfeld wissen, welche Route sie nehmen werden, ob sie Sauerstoff einpacken, wie viele Fixseile sie mitschleppen. Allerdings werden wir förmlich überrannt.

Wie meinen Sie das?
Es sind einfach viel zu viele Bergsteiger. Wir sind ja kein Unternehmen mit ein paar Hundert Angestellten, sondern eine Non-Profit-Organisation mit sechs Leuten. Sie müssen wissen: Wir sind für 471 Berge in Nepal zuständig und haben bis heute die Daten von 81.985 Menschen archiviert. Miss Elizabeth Hawley, der Gründerin der Himalayan Database…

…die Sie 2016 beerbt haben…
…war es immer wichtig, die Menschen vor und nach ihrer Expedition zu sprechen. Als ich dort anfing, dachte ich mir immer, dass es doch völlig ausreichen würde, wenn wir die Menschen nach ihrer Rückkehr befragen. Sie war anderer Meinung. "We have to get their personal details from them. If they die on the mountain, it'll be too late". Übersetzt: Wenn sie dort oben sterben, können wir sie auch nicht mehr befragen.

"Wir dokumentieren, wie sich das Höhenbergsteigen über all die Jahre entwickelt hat"

In Ihrem Buch "Ich hab ein Rad in Kathmandu" schreiben Sie auch über Reinhold Messner.
Miss Hawley wollte alles wissen, also Name, Geburtsdatum, Wohnort und Beruf. Das trug sie alles in ihr Formblatt, die sogenannte "Bioform", ganz akribisch ein. Sie wollte aber auch wissen, ob die Expeditionsmitglieder Single sind, verheiratet, geschieden oder ob sie eine Freundin haben. Messner hatte mal alle vier Kästchen angekreuzt, was Miss Hawley hingegen so gar nicht witzig fand. Messner hatte jedoch eine gute Erklärung parat: "In Italien bin ich noch verheiratet, in Deutschland bin ich schon geschieden, ich lebe mit meiner Freundin zusammen, aber ich fühle mich als Single."

Am 18. Februar erscheint ihr Buch "Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern" (Tyrolia Verlag, 240 Seiten, 28 Euro).
Am 18. Februar erscheint ihr Buch "Ich hab ein Rad in Kathmandu. Mein Leben mit den Achttausendern" (Tyrolia Verlag, 240 Seiten, 28 Euro). © Tyrolia

In den Alpen gibt es keine solche Datenbank.
Wir von der Himalayan Database dokumentieren, wie sich das Höhenbergsteigen über all die Jahre entwickelt hat. Über die Erstbesteigungen in der Himalaya-Region in Nepal wissen wir fast alles! Über sämtliche Routen, die auf einen Achttausender in Nepal führen, wissen wir auch fast alles! Wir wissen auch, wer wann und wo ums Leben kam. Und genauso wie im Himalaya verdienen auch in den Alpen die Menschen rund um Besteigungen auf den Mont Blanc oder das Matterhorn Geld. Im Himalaya kommt allerdings noch hinzu, dass ein Gipfel wie der Everest nicht nur ein Gipfel ist. Er ist eine Trophäe! Und um diese Trophäe zu erhalten, müssen Kunden, die mit kommerziellen Teams unterwegs sind, viel Geld auf den Tisch legen. Bis zu 80.000 Euro kann so eine kommerzielle Expedition auf den höchsten Berg der Welt kosten. Pro Person.

In einer anderen Liga sind auch die Betrüger und Schwindler.
Das gehört auch zur Wahrheit. So wie das indische Ehepaar, das anhand von Fotos beweisen wollte, dass sie auf dem Everest standen. Miss Hawley glaubte ihnen, so wie ich auch erst mal allen Menschen unvoreingenommen gegenübertrete. Im Nachhinein stellte sich bei dem Ehepaar, die auch noch als Polizisten arbeiteten, heraus, dass sie ihre Bilder mit Photoshop fälschten. Die beiden wurden natürlich in der Himalayan Database mit einem "unrecognized", also "nicht anerkannt", versehen. Wir haben auch schon Selfies gesehen, bei denen sich der Gipfel in der Sonnenbrille spiegelte, was darauf hinweist, dass das vermeintliche Gipfelfoto unterhalb des höchsten Punktes aufgenommen wurde. In dieser Hinsicht sind meine beiden Kollegen Tobias Pantel und Rodolphe Popier unschlagbar gut, da sie die Topografie der Gipfel bei weitem besser kennen als ich.

"Ich habe wirklich schon fast alles gesehen"

Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert?
Der Komfort. Ich habe wirklich schon fast alles gesehen bis hin zu einem Koch, der Mousse au Chocolat mit frischen Himbeeren einfliegen ließ. Yogakurse, Espresso-Maschinen bis hin zu aufblasbaren pinken Sofas sind inzwischen normal. Es gibt auch Expeditionsteilnehmer, die nach der Akklimatisierung und vor dem Gipfelgang zur Erholung ins Hotel nach Kathmandu fliegen. Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich könnte mir das nicht vorstellen, denn das würde mich zu sehr von dem Berg, an den ich mich die vorhergehenden Wochen langsam herangetastet habe, trennen. Und das, was Simone Moro mir mal erzählte, verwundert mich noch heute. "Ich komme mir manchmal vor wie Amazon", hat er zu mir gesagt, nachdem er einmal zwölf Pizzen von der Pizzeria "Fire & Ice" mit einem seiner Materialflüge von Kathmandu ins Everest-Basislager mitnahm.

Reinhold Messner nennt solche Menschen Berg-Yuppies.
Herr Messner war aber auch derjenige, als er 2017 den Film über die Ama Dablam drehte, der öfter zu den Dreharbeiten aus Kathmandu eingeflogen kam. Mit den Berg-Yuppies hat er trotzdem recht. Vor drei Jahren ging den Sherpas am Kangchenjunga in 8.300 Metern Höhe das Seil aus. Daraufhin mussten fast alle Expeditionsteilnehmer umdrehen. Ihnen fehlte das Know-how, ohne Fixseile die letzten zweihundert Höhenmeter zum Gipfel aufzusteigen. Ganz nach dem Motto: kein Seil, kein Gipfel.

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