Hitlers Stellvertreter ohne Einsicht: „Ich bereue nichts“

AZ-Serie: Rudolf Heß saß knapp 46 Jahre im Knast. Nach seinem Tod wollen ihn Rechtsradikale zum Märtyrer hochstilisieren.
von  Abendzeitung

AZ-Serie: Rudolf Heß saß knapp 46 Jahre im Knast. Nach seinem Tod wollen ihn Rechtsradikale zum Märtyrer hochstilisieren.

NÜRNBERG Der Namenszug des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß eignet sich werbetechnisch ausgesprochen gut für die rechtsextreme Szene: Die vertreibt T-Shirts und andere Devotionalien, auf denen der Name mit Doppel-S und in Runenzeichen abgedruckt ist. Ähnlichkeiten mit dem Emblem der „SS“ im Dritten Reich sind nicht zufällig, sondern erwünscht. Bei alten Kriegern und neuen Nazis gilt Rudolf Heß nämlich nicht als Kriegsverbrecher. Für sie ist er ein Held.

Mit der seltsamen Verehrung der Nazi-Größe wird alljährlich das beschauliche Städtchen Wunsiedel (Oberfranken) konfrontiert. Regelmäßig an seinem Todestag (17. August) versuchen braune Gesinnungsgenossen, den Geburtsort von Rudolf Heß zu einem öffentlichen Demonstrations-Spektakel zu machen. Ein paarmal gelang es ihnen mit gerichtlicher Hilfe. Doch seit einigen Jahren gilt dort ein Aufmarsch-Verbot.

Die Rechten würden Rudolf Heß gern als Märtyrer sehen. Deshalb stricken sie sich aus Fragmenten seines Lebens ein passendes Bild zusammen, das mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Die fehlerhafte Argumentationslinie der Heß-Fans fängt damit an, dass der Hitler-Stellvertreter vom Internationalen Militärgerichtshof völlig unberechtigt zu lebenslanger Haft verurteilt worden sei. Ihn dann auch noch bis zu seinem Tod, mehr als 40 Jahre, im Spandauer Kriegsverbrecher-Gefängnis schmoren zu lassen, sei menschenverachtend gewesen, heult die rechte Szene regelmäßig auf.

Der Sohn von Rudolf Heß, der seinen Vater eher für einen Friedensengel hält, lieferte ein weiteres Mosaiksteinchen für dessen verzerrte Darstellung in Kreisen der Neonazis. Nach dessen Tod, den behördlich beauftragte Gerichtsmediziner als klaren Selbstmord deklarierten, schaltete der Heß-Filius auf eigene Kosten einen weiteren Sachverständigen zur Untersuchung des Leichnams ein. Der Experte konnte den Selbstmord durch Erhängen mit einem Elektrokabel zwar nicht ad absurdum führen. Er lieferte aber Spielraum für Interpretationen bestimmter Verletzungen. Die Version vom möglichen Mord hinter Gefängnismauern durch den britischen Geheimdienst hatte neue Nahrung bekommen.

Für nüchterne Wissenschaftler und Historiker gibt es dagegen nur ein bedeutsames Rätsel im Leben von Rudolf Heß. Warum, so fragen sie sich, hat sich der damalige Hitler-Stellvertreter 1941 in ein Flugzeug gesetzt und ist zum Erzfeind nach England geflogen? Heß hat die Aktion danach als eine geheime Friedensmission im Auftrag des „Führers“ dargestellt. Als der jedoch davon erfuhr, bezeichnete er Heß als geisteskrank und enthob ihn aus der Ferne aller Ämter. Churchill, mit dem Heß gerne über einen Waffenstillstand verhandelt hätte, lehnte eine Unterredung mit dem Funktionär aus der Führungsriege der Nationalsozialisten schlichtweg ab. Er ließ Heß ins Gefängnis werfen.

Rudolf Heß wurde in den „Nürnberger Prozessen“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Um die Todesstrafe kam er herum, weil ihm direkte Verwicklungen in den Holocaust nicht nachzuweisen waren. Ein getreuer Gefolgsmann Hitlers war er jedoch selbst noch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs. Berühmt wurde seine Erklärung als Angeklagter vor dem Internationalen Gerichtshof. Er sagte damals: „Es war mir vergönnt, viele Jahre unter dem größten Sohn zu wirken, den mein Volk in seiner 1000-jährigen Geschichte hervorgebracht hat. Selbst wenn ich es könnte, wollte ich diese Zeit nicht auslöschen aus meinem Dasein. Ich bin glücklich zu wissen, dass ich meine Pflicht getan habe meinem Volk gegenüber, mein Pflicht als Deutscher, als Nationalsozialist, als getreuer Gefolgsmann meines Führers. Ich bereue nichts.“

Helmut Reister

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