Hitlers Massenmörder war sich keiner Schuld bewusst

Rudolf Höß, der KZ-Kommandant von Auschwitz, sagte im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher als Zeuge aus. Er bezeichnete sich als liebevollen Familienvater. In Polen zum Tode verurteilt.
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SS-Chef Heinrich Himmler besuchte Auschwitz mehrfach.
dpa 2 SS-Chef Heinrich Himmler besuchte Auschwitz mehrfach.
Zusammengepfercht, hungernd, frierend, leidend: So warteten  die KZ-Häftlinge in Auschwitz auf den Tod.
dpa 2 Zusammengepfercht, hungernd, frierend, leidend: So warteten die KZ-Häftlinge in Auschwitz auf den Tod.

Rudolf Höß, der KZ-Kommandant von Auschwitz, sagte im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher als Zeuge aus. Er bezeichnete sich als liebevollen Familienvater. In Polen zum Tode verurteilt.

NÜRNBERG Einen besseren Mann für den abscheulichsten Job in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis hätte man nicht finden können. Rudolf Höß, der sich selbst als sensiblen Menschen und liebevollen Familienvater klassifizierte, stellte als staatlich angestellter Massenmörder jeden seiner noch so pervertierten Gesinnungsgenossen in den Schatten. Rudolf Höß war der Kommandant von Auschwitz, der Vollstrecker des Holocaust.

Selbst Streicher senkte den Blick

Filmaufnahmen der sowjetischen Armee, die bei der Befreiung von Auschwitz entstanden waren, sorgten im Sitzungssaal 600 für maßloses Entsetzen. Selbst der von grenzenlosem Judenhass befeuerte Gauleiter Frankens, Julius Streicher, senkte seine Blicke, als die Bilder der Leichenberge und der bis aufs Skelett ausgemergelten KZ-Häftlinge über die Leinwand im Gerichtssaal flimmerten. In diesem Augenblick dachte wohl keiner daran, dass eine Steigerung des dokumentierten Grauens noch möglich wäre. Doch Rudolf Höß trat Monate später den Beweis dafür an.

Der Auschwitz-Kommandant saß nicht neben Göring, Heß und Co. auf der Anklagebank, als der Internationale Militärgerichtshof im Herbst 1945 zusammentrat. Höß war bei Prozessbeginn untergetaucht und konnte erst ein halbes Jahr später von britischen Soldaten in Norddeutschland aufgespürt werden. Sie lieferten die Bestie in Menschengestalt an Polen aus, wo der SS-Spezialist für Massenmord sein blutiges Handwerk in Perfektion ausgeübt hatte. Im Nürnberger Prozess gegen die maßgeblichen Repräsentanten des Dritten Reichs trat Höß aber als Zeuge auf.

"Buchhalter des Todes"

Als „Buchhalter des Todes“, wie er einmal genannt wurde, gab er sich im Sitzungssaal 600 nicht zu erkennen. Ein Buchhalter hätte die genaue Zahl der Mordopfer von Auschwitz nennen können, Höß musste bei der Frage über den Daumen peilen. „Ich schätze, dass mindestens 2,5 Millionen Opfer durch Vergasung und Verbrennen hingerichtet und ausgerottet wurden“, erklärte er ohne erkennbare Gefühlsregung. Schätzen musste der Chef des Konzentrationslagers, weil ein in Auschwitz ankommendes Menschenleben viel zu wenig wert war, um es buchhalterisch überhaupt zu erfassen. Ankunft, Selektion, Gaskammer, Krematorium: Rudolf Höß hatte genug damit zu tun, die Todesmaschinerie am Laufen zu halten.

Von Zweifeln, vielleicht etwas Unrechtes getan zu haben, war Rudolf Höß nicht befallen. Das hätte seinem Verständnis von den geltenden Machtstrukturen des Regimes widersprochen. Durch seine Autobiografie, die er während seiner Inhaftierung in Polen schrieb, zieht sich diese Erkenntnis wie ein roter Faden. Originalton Höß: „Nach dem Willen des Reichsführers SS wurde Auschwitz die größte Menschenvernichtungsanlage aller Zeiten. Ob diese Massenvernichtung der Juden notwendig war oder nicht, darüber konnte ich mir kein Urteil erlauben, so weit konnte ich nicht sehen. Wenn der Führer selbst die Endlösung der Judenfrage befohlen hatte, gab es für einen alten Nationalsozialisten keine Überlegungen, noch weniger für einen SS-Führer.“

Ranghoher SS-Obersturmbannführer wurde Rudolf Höß (Jahrgang 1900) erst nach der Machtergreifung der Nazis, überzeugter Nationalsozialist war er schon viel früher.

Höß' Vater wollte, dass der Sohn Pfarrer wird

Dabei hätte sein katholischer Vater es gerne gesehen, wenn Sohn Rudolf den Beruf eines Pfarrers gewählt hätte. Stattdessen war er bereits 1923 am politisch motivierten Mord an einem „Verräter“ beteiligt, der von seinen braunen Genossen als Heldentat bejubelt wurde. Für seinen Aufstieg in den Olymp geadelter Hardliner sorgte der „Führer“ höchstselbst. Er belohnte den „Verräter“-Mord mit einem Orden und konnte sich sicher sein, von da an einen blind ergebenen Vasallen zu haben, der sich für keine Schändlichkeit zu schade war. Die Kommandantur von Auschwitz war Höß wie auf den Leib geschnitten.

Ein polnisches Gericht verurteilte den Lagerkommandanten zum Tod. Seine Hinrichtung erfolgte am 17. April 1947 am Ort seiner eigenen Untaten. In Auschwitz.

Helmut Reister

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