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Kontrastreich zwischen metaphysischen und physischen Gegensätzen: Die Eröffnung der Gluck-Opernfestspiele gelingt oben wie unten
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Träume vom heilen Leben am „Lido“ unterm Sonneschirm: die Nürnberger Felsengänge als Spielort für die szenisch-musikalische Performance „orpheus@felsen.gänge“.
Olah Träume vom heilen Leben am „Lido“ unterm Sonneschirm: die Nürnberger Felsengänge als Spielort für die szenisch-musikalische Performance „orpheus@felsen.gänge“.

Nürnberg - Kontrastreich zwischen metaphysischen und physischen Gegensätzen: Die Eröffnung der Gluck-Opernfestspiele gelingt oben wie unten

Erst aufwärts zur himmlischen Gala, dann hinab in den Höllen-Keller: Kontrastreicher hätten die ersten Tage der 3. Gluck-Opern-Festspiele kaum beginnen können. Zwischen Opernhaus und Altstadt-Felsengängen, mit Stöckel- oder Haferlschuh, konnte das Publikum eine Klangwelt abschreiten, die sich der Oberpfälzer Pate der Veranstaltung allenfalls klammheimlich erträumte. Ob er damit glücklich gewesen wäre, dass ihn beim Start-Konzert im ausverkauften Opernhaus der Pariser Nachgeborene Hector Berlioz so beiläufig von der Bühne drängelte, ist allerdings fraglich.

Pult-Tanzbär Marc Minkowski und sein explosives Spezialisten-Ensemble Les Musiciens du Louvre-Grenoble führten Glucks kleinteilige „Don Juan“-Pantomime wie einen Musterkoffer vor. Portionierte Aufreger-Musik zwischen französischen Märchen-Onkeleien spitzmündiger Prägnanz. Mit dem Auftritt von Anne Sofie von Otter, die eine aufgedonnert „lyrische Szene“ von Berlioz wie ein Geheimrezept für Opern-Konzentrat vorführte, war das freilich abgehakt. Denn der Mezzo-Star, eben noch mit Mahler und Offenbach auf TV-Kulturkanälen zu erleben, faszinierte im „Cleopatre“-Porträt mit ihrer quer durch alle Empfindungsfarben fahrenden Stimme. Eine unglaubliche Ausdrucks-Skala, vom Orchester umschmeichelt.

Die Bravo-Rufe wiederholten sich bei der nicht so raren Berlioz-Sinfonie „Harold in Italien“ für Bratschist Antoine Tamestit und den Zugaben, die der so fröhlich inspiriert wie transpirierend schaffende Maestro schelmisch den „Nürnberg-Tropics“ widmete. Noch anspruchsvoller könnte das in die Altstadt-Unterwelt führende Projekt orpheus@felsen.gaenge gar nicht gedacht sein, als das Dramaturg Johann Casimir Eule machte. Haltestellen des antik-zeitlosen Todes-Mythos, versetzt in legendäre örtliche Schutzräume gegen den Weltkrieg-Bombenhagel, durchpulst von Assoziationen globaler Befindlichkeit. Das geschieht im Performance-Format einer „musikalischen Führung“ kleiner Gruppen, die durch ein manchmal beängstigendes, gelegentlich belustigendes, immer beunruhigendes Labyrinth der Überraschungen geschleust werden.

Drei Regisseure waren für die 80-Minuten-Tour am Werk, ein verstärktes Team der Musikhochschule (Leitung: Guido Johannes Rumstadt) zeigte hemmungslose Einsatzbereitschaft. Dabei war es weniger die wohlbekannte Opernhandlung, an der die Spielleiter fast so klammerten wie die in dunklen Gängen tastenden Zuschauer am Handlauf. Es ging um das Inhalieren von Bildern und Stimmungen, die wie geisterbahnpatentiert aus dem Gewölbe ragten. Vom Inferno des improvisierten Lazaretts übers Lido-Elysium in Viscontis Kino-Design zum Rundgang der „sieben Todsünden“, zu denen Andreas Baesler nur das jeweils Nächstliegende eingefallen war. Fastfood-Orgie als Völlerei, da bleibt kein doppelter Boden für Gedanken. Dafür wirkt die Burka, die Kristian Fredric in der „Stadt der Schmerzen“ platziert, zuverlässig wie ein Fanal von Zwangsjacke.

Glucks Musik hat hier Plakatwirkung, holt sie über Posaunen und Tuba, aber auch von Harfe und Gitarre. Sie verbindet sich allmählich mit dem Unheimlichen eines Überlebens-Ortes, der seine kurios gegensätzlichen Funktionen zwischen Bierkeller und Luftschutzraum nun als Event-Treibhaus ergänzt. Dem Reiz dieser fabelhaft anmaßenden Metaphernschmiede kann sich keiner ganz entziehen. Am Ende klettert man befreit und beschleunigt über viele steile Stufen zurück zum Licht, wo im Brauereihof das Paradies mit realem Ausschank wartet. Bei der Premiere wurde die erlösende Volksfeststimmung durch Regengüsse zur Wassermusik umgewidmet. Willkommen zum Händel-Festival. Dieter Stoll

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