Hier werden Raffinerie-Schornsteine gesprengt

Zwei 120 Meter hohe Raffinerie-Schornsteine wurden in Ingolstadt gesprengt. Ehemalige Arbeiter verbinden mit den Schloten mehr als nur Stahlbeton und Rauch.
von  dpa
Ein Raffinerie-Schornstein wird gesprengt. Die spektakulären Fotos aus Ingolstadt.
Ein Raffinerie-Schornstein wird gesprengt. Die spektakulären Fotos aus Ingolstadt. © dpa

Mit einem lauten Knall fällt ein Teil der Stadtgeschichte. Zwei 120 Meter hohe Raffinerie-Schornsteine wurden in Ingolstadt gesprengt. Ehemalige Arbeiter verbinden mit den Schloten mehr als nur Stahlbeton und Rauch.

Ingolstadt – Er kannte alle Wege hier auswendig. Damals. 1974 fing der jetzt 75-jährige Ingolstädter in der Raffinerie als Arbeiter im Tanklager an. Heute ist von dem Werk nicht mehr viel übrig geblieben. Es wurde vor Jahren stillgelegt. Die 120 Meter hohen Schornsteine stehen noch – wenige Stunden. An diesem Tag werden die rot-weißen Türme gesprengt und mit ihnen fällt ein Teil der Stadtgeschichte. Ehrfürchtig blickt der Rentner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, auf die beiden Kamine. „Das ist ein Lebenswerk“, sagt er und klingt, als würde er auch von sich selbst sprechen.

Die alten Erinnerungen gehen am Samstag in einem Countdown unter. Von zehn zählen Hunderte Gäste runter. Beim Kommando „Zündung“ drückt Sprengmeister Günter Franke die Tasten auf seinem Zündcomputer. In 350 Bohrlöcher haben er und seine drei Kollegen am Tag vorher insgesamt 55 Kilo Sprengstoff gestopft, die jetzt mit einem Mal am Fuß der Kamine hochgehen sollen. „Das müssen sie sich vorstellen wie beim Baumfällen“, erklärt Koordinator Martin Hopfe – unten werde ein Keil herausgesprengt, damit die jeweils rund 3000 Tonnen schweren Schornsteine abknicken.

Seit 1965 taten die 120 Meter hohen Schlote ihren Dienst in der Bayernoil-Raffinerie, erzählt Unternehmenssprecherin Kirsten Pilgram. Dann entschloss sich die Firma dazu, den Standort zu verlegen – die Anlage in Ingolstadt musste weg. Interesse kam aus Indien. Geschäftsleute vom Subkontinent wollten Tank für Tank, Rohr für Rohr und Schraube für Schraube in ihre Heimat verschiffen und die Anlage dort von neuem aufbauen. Die Finanzkrise durchkreuzte das Vorhaben, die Interessenten sprangen aus Geldmangel ab. „Wir haben dann 2010 gesagt: "Jetzt reißen wir alles selber ab"“, sagt Pilgram.

So nahm das Ende nach und nach Konturen an. Von den riesigen Industriebauten steht heute so gut wie keiner mehr – mit „Kamin I“ und „Kamin III“ fällt ein Symbol der regionalen Industriegeschichte. Das Werk gibt 75 Hektar Land frei – wofür genau sie genutzt werden, ist noch nicht entschieden.

Als Günter Franke am Samstagnachmittag in sicherer Entfernung zeitgleich die beiden Knöpfe drückt, auf denen jeweils das Wort „FIRE“ prangt, dauert es nur einen Sekundenbruchteil. Mit 2000 Metern pro Sekunde rast der Impuls bis zu den Sprengladungen. Stahlbeton und Stein der Kamine werden zerfetzt – kurz darauf folgt der ohrenbetäubende Knall. Kamin I zerbricht und fällt in sich zusammen. Kamin III stürzt schwerfällig der Länge nach auf den sandigen Boden. Eine Staubwolke breitet sich über dem Areal aus. Es ist vorbei.

 

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