Hier soll ein Dorf für Neo-Nazis entstehen
NPD-Treffen: Am Samstag konnten sich die Einwohner von Warmensteinach ein Bild machen, welche Leute in die braune Kolonie einziehen wollen.
WARMENSTEINACH An der Tür steht ein bärtiger Mann mit Tätowierungen im Gesicht und fotografiert. Kahlköpfige Jungs lehnen an der Theke, sie tragen T-Shirts, auf denen „Nationaler Sozialismus“ oder „Mein Boss ist ein österreichischer Maler“ steht. Ein alter Mann im Trachtenjanker kündet von der Revolution, die nicht mehr weit sei. Männer mit Wehrmachts-Kappen schlendern durch den Saal, wasserstoffperoxidblonde Walküren plaudern an den Tischen.
„Was schreibst’n da?“, will ein stämmiger Mittdreißiger mit 3–Millimeter-Frisur vom Journalisten wissen und beugt sich über den Block. „Sie sind doch auch gegen uns“, begrüßt er Minuten später ein weiteres „Alien“ im Gasthof Puchtler: den unabhängigenWarmensteinacher Gemeinderat Peter Fülle. Während seine Kollegen mit Hunderten anderer Warmensteinacher ein paar hundert Meter entfernt den Kurpark im Fackelschein erhellen, in der Hoffnung, das Licht, die Musik und die Reden könnten den braunen Spuk austreiben, hat sich Fülle, der Dorfarzt, in die Höhle des Löwen getraut. In die Pension Puchtler. „Ganz schön mutig von Ihnen“, sagt der 3-Millimeter-Mann.
Rieger: „Nationale Paare zeugen im Schnitt fünf Kinder“
Fülle will sich ein Bild von den Menschen machen, die Jürgen Rieger, Rechtsanwalt aus Hamburg und Multifunktionär der rechtsextremen Szene, in seinen Ort holen will. Ein „nationales Musterdorf“ soll hier entstehen. Mit dem Landgasthof Puchtler als Zentrum einer braunen Kolonie, mit acht Hektar Land für 30 Familien. „Locker 150 Menschen“, sagt Rieger, denn: „Nationale Paare zeugen im Schnitt fünf Kinder.“
Im Puchtler hält die NPD, unterstützt vom „Kameradschaftsbund Hochfranken“ ihre Wahlkampfabschluss-Kundgebung statt: „Als Dankeschön für alle Helfer aus Franken“, sächselt Kameradschafts-Führer Tony Gentsch, wohnhaft in Hof. Veranstalter der Freibier-Sause für 70 rechte Kader: Jürgen Rieger.
„Ich plane nicht, den Puchtler zu kaufen“, erklärt Rieger gegenüber der AZ, „ich habe ihn bereits gekauft.“ Angeblich für 1,8 Millionen Euro. Nein, der Eigentümer Peter S., ein aus Warmensteinach stammender Gymnasial-Lehrer aus München, sei kein Gesinnungsgenosse, „er hat wirtschaftliche Interessen.“ Auch Rieger? Den Vorwurf der Preistreiberei, um eine satte Provision einzustreichen, bestreitet er vehement. Und bezweifelt, dass die Gemeinde von ihrem Vorkaufsrecht – die Frist läuft am 8. November aus – Gebrauch macht: „Die stemmen das nicht.“ Das Angebot von Ministerpräsident Günther Beckstein, der Kommune beim Kauf unter die Arme zu greifen, hält Rieger für „eine Wahlkampf-Geste“.
Eine Wahlkampf-Geste der anderen Art, die mit erhobenem rechten Arm, bleibt aus im Puchtler: Als Tony Gentsch die „Kameradinnen und Kameraden“ begrüßt, setzt ein Gast grinsend zum Hitlergruß an, lässt es aber auf halber Strecke bleiben: Man ist ja nicht ganz unter sich – auch wenn Zivil-Beamte nicht auszumachen sind. Ob Riegers Tiraden gegen den „Hottentotten-Steiß“, auf denen Afrikanerinnen zwar ein Tablett balancieren könnten, aber dennoch nicht als Kellnerinnen in Deutschland erwünscht seien, den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen? Uwe Meenen, Vorsitzender des NPD-Bezirksverbandes Unterfranken, wählt seine Worte sorgfältiger: Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, verfolge „Fremdinteressen“. Aber das sei ihm wohl „in die Wiege gelegt“ – Gysi hat jüdische Vorfahren...
600 Menschen beim Protestgottesdienst
Bei Leuten wie Gentsch, Meenen, Rieger werden die Menschen in Warmensteinach tatsächlich fremdenfeindlich: „Wir wollen die hier nicht“, sagen Jugendliche in ihrem Treffpunkt, einem Bushäuschen. Gegenüber stehen Dutzende Streifenwagen: Der Ort ist hermetisch abgeriegelt. Dass Rieger nach wochenlangem Hickhack mittlerweile „große Resonanz“ unter den Dörflern verspüre, bringt die Kids zum Lachen: „Hier gibt’s vielleicht drei Leute, die die gut finden.“ 600 – fast zehn mal so viele wie die Rechten im Puchtler – versammeln sich am Abend im Kurpark zum Protestgottesdienst.
Die meisten halten den Kauf des Puchtler für eine Finte von Rieger, um kräftig abzukassieren. Sie hoffen es. Und, dass die braunen Heuschrecken schnell weiterziehen.
Steffen Windschall
Mehr über das krude Weltbild und die Pläne von Rechtsextremist Jürgen Rieger in Warmensteinach lesen Sie in exklusiv in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Montag, 29. September.