Hier liegen die toten Kinder von Frankens traurigsten Eltern

Wenn Babys bereits tot geboren werden: Die Selbsthilfegruppe „Pusteblume“ will betroffene Mütter und Väter aus ihrer Verzweiflung holen.
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Wenn Babys bereits tot geboren werden: Die Selbsthilfegruppe „Pusteblume“ will betroffene Mütter und Väter aus ihrer Verzweiflung holen.

NÜRNBERG Der Abdruck von kleinen Babyfüßen auf gelbem Papier, hinter Glas gerahmt – für Ingrid Dunkel ist das eine kostbare Erinnerung. Eine getrocknete Rosenblüte erinnert an den Kranz bei der Beerdigung des kleinen Patrick. Bei der Routineuntersuchung drei Wochen vor der Geburt des Kindes waren plötzlich keine Herztöne mehr da, wie sich die heute 48 Jahre alte Frau erinnert. „Mit einem Kaiserschnitt kurz vorher hätte Patrick gelebt, aber es gab keine Anzeichen für Probleme.“ Am 24. Mai 1996 brachte sie ihren Sohn tot zur Welt. Was blieb, waren die Erinnerungen, die Angst vor der nächsten Schwangerschaft – und ein „Warum“.

Heute hat Ingrid Dunkel einen zehnjährigen Sohn, und es fällt ihr leichter, ihre Geschichte in Worte zu fassen. Mit ihren Erfahrungen hilft sie Eltern, die ihr Kind bei einer Fehl-, Früh- oder Totgeburt verloren haben, Eltern, die ihr Kind nie kennenlernen durften. Seit mehr als zehn Jahren ist sie Ansprechpartnerin für die wohl einmalige Selbsthilfegruppe „Pusteblume“ in Nürnberg, die unter dem Dachverband „Initiative Regenbogen – Glücklose Schwangerschaft e.V.“ steht.

Nach dem Schock ist die Erinnerung das Einzige, was bleibt

Mütter und Paare treffen sich jeden 3. Mittwoch im Kulturzentrum Röthenbach. Erst suchen sie Gleichgesinnte und Ansprechpartner. Am Ende haben sie oft Freunde gefunden, weiß Ingrid Dunkel: „Viele Frauen werden wieder schwanger.“

Nach dem ersten Schock ist die Erinnerung meist das Einzige, was Eltern von ihrem tot geborenen Kind bleibt. Deswegen werden im Nürnberger Klinikum Abdrücke von den Füßchen und Händen gemacht. Auch Fotos der Babys sollen bei der Aufarbeitung helfen. „Falls die Eltern das Foto nicht mitnehmen wollen, heben wir es auf“, sagt Klinikseelsorger Richard Schuster. „Wir helfen, gemeinsam hinzuschauen und Abschied zu nehmen.“ Wenn das verstorbene Kind unter 500 Gramm wiegt, können die Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind selbst bestatten möchten.

Symbole stehen auf den Gräberfeldern für „stillgeborenes Leben“. „Ich geh' euch nur voraus, nur einen winzigen Schritt zurück in das Licht, das mich entsandt“, steht auf dem großen weißen Stein auf dem Nürnberger Südfriedhof. Seit September 2008 gibt es auch in Fürth ein Gräberfeld.

Die Beisetzung ist ein letzter Liebesdienst und hilft loszulassen

Nach Angaben von Jens Köhler, Oberarzt am Klinikum Nürnberg, ist die Zahl der Tot- und Fehlgeburten relativ konstant. „Nur weil das Kind verstorben ist, kann man die Schwangerschaft nicht ungeschehen machen. Nicht immer kann die Medizin helfen, denn bei knapp einem Drittel der Totgeburten können wir keine Ursache finden.“

Patrick wurde damals in einem Kindergrab beigesetzt. „Die Beisetzung ist ein letzter Liebesdienst und hilft loszulassen“, sagt Ingrid Dunkel. Am Anfang war sie jeden Tag drei Stunden auf dem Friedhof. Das Umfeld kann die Trauer oft nur schwer nachvollziehen. Worte wie „Du kanntest es ja nicht, du wirst schon noch mal schwanger“ seien kein Trost, denn für die Mutter hat das Kind existiert, sagt die Psychologin Sylvia Tettenborn. Egal, wie lange die Eltern trauern, und egal, wie sie an ihr Kind denken, es solle einen Platz in der Familie haben. Denn gerade durch das Glück eines lebenden Kindes wird greifbar, was die Eltern verloren haben.

Susanne Koch

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