Hier arbeitet ein Richter mitten im Reichswald

Kurioser Prozess um den Zoff zwischen einem Jäger und einem Motorradfahrer: Volker Kanz verhandelte in einem zugigen Zelt im Naturschutzgebiet am Steinbrüchlein
von  Abendzeitung

Kurioser Prozess um den Zoff zwischen einem Jäger und einem Motorradfahrer: Volker Kanz verhandelte in einem zugigen Zelt im Naturschutzgebiet am Steinbrüchlein

NÜRNBERG Die Herren tragen zu weißer Fliege und schwarzer Robe Berg- oder Gummistiefel mit festem Profil – so wie es der Nürnberger Amtsrichter Volker Kanz für den Prozess in einem Gerichtszelt mitten im Nürnberger Reichswald empfohlen hatte. Es war einer der kuriosesten Verhandlungen in der Nürnberger Gerichtsgeschichte.

Oktober 2007: Ein Jagdpächter (44) legte sich im Steinbrüchlein bei Worzeldorf mit einem Oberpfälzer Trial-Fahrer (61) an, weil der „in seinem Wald“ mit einem Zweitakt-Motorrad herum geknattert war. Pächter Oliver H. bekam wegen Nötigung und Körperverletzung einen Strafbefehl über 7000 Euro. Dagegen erhob er Einspruch.

Zwischen Biertischen und -bänken röhrte das Heizgebläse

Richter Kanz wollte gestern vor Ort einen Eindruck bekommen, „anhand von Fotos ist das nicht möglich.“ Elf Mann vom Technischen Hilfswerk sperrten ab acht Uhr das steile Gelände ab, bauten das Gerichtszelt mit Biertischen und -bänken, Beleuchtung und röhrendem Heizgebläse auf. 20 Meter tiefer warteten die Zeugen im blauen Zelt neben dem Dixi-Klo. Per Funkgerät hielten die Wachleute Kontakt.

Oliver H. (Verteidiger Alexander Seifert) zeigte damals seiner Frau sein Jagdrevier, als Robert Z. (Anwalt Michael Spengler) auf ihn zugeschossen sei. „Ich habe mich bedroht gefühlt“, erklärte der Jäger. Er verfolgte den Biker, rief die Polizei und behauptete, dass der Motorradfahrer ihn sechs Meter mitgeschleift habe, als er ihn festhielt. Daraufhin kam Robert Z. wegen versuchten Totschlags eine Nacht in U-Haft. Und wieder frei, weil die Spuren nicht zu den Angaben passten. Nun wurde gegen den Jäger ermittelt. Der berief sich gestern auf Erinnerungslücken und Überreaktion im Stress.

Ein Trial-Experte fuhr zur Demonstration die Wege ab

Trial-Fahrer Robert Z. wiederum erlebte es ganz anders. Der Jäger sei aus dem Gebüsch gesprungen, habe ihn verfolgt. Der Biker düste weiter, blieb stecken. Da habe Oliver H. ihn gepackt, dass er vom Krad flog: „Du fährst hier nimmer, hat er geschrien.“

Ein Trial-Experte fuhr zur Demonstration mit der Cross-Maschine die Wege ab, die Betroffenen zeigten, wie sie damals standen. Zurück im Zelt kroch die Kälte alle an. Noch acht Zeugen warteten. „Wollen Sie jetzt Rache oder etwas Schmerzensgeld?“ fragte Oberstaatsanwalt Wolfgang Träg. Rache weniger, murmelte Robert Z.

Da setzten sich die Gerichtsbeteiligten zusammen. Das Ergebnis: Der Prozess gegen den Jäger wurde – unter Murren der Zuhörer – gegen 2000 Euro Schmerzensgeld für Robert Z. und 2000 Euro Buße an die Staatskasse eingestellt. Die trägt die gesamten Kosten des kuriosen Prozesses. Auch der Biker, so der Richter, habe eine Mitschuld – weil er unerlaubt herumfuhr. Da, wo sich Fuchs und Gelbbauch-Unke Gute Nacht sagen. cis

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.