Herzensprojekt: Wie Benni die Orang-Utans retten will

Ingolstadt - Benni Overs Augen glänzen so wie bei Kindern, wenn sie an Weihnachten den ersten Blick auf den Christbaum und die Geschenke erhaschen. Strahlend beobachtet der 28-Jährige den Andrang der Schüler. Einige von ihnen stützen sich auf Gehhilfen, parken ihre bunten Rollatoren am Rand der Turnhalle. Sie drängen sich auf die Stühle und Bänke vor der Leinwand.
All diese jungen, besonderen Menschen in der Johann-Nepomuk-von-Kurz-Schule in Ingolstadt, sie kommen heute nur seinetwegen. Ob ihn das nervös macht? "Nur ein bisschen", flüstert er mit einem Lächeln.
Benni (28) leidet an Muskeldystrophie Duchenne und sitzt im Rollstuhl
Nicht mitten drin, sondern seitlich sitzt er regungslos in seinem Rollstuhl. Er leidet an der Krankheit Muskeldystrophie Duchenne, von der fast nur Buben betroffen sind. Die Folge: Benni Over kann sich nicht bewegen. Nicht seine Beine, nicht seine Arme, nicht seinen Oberkörper.
Nur seine Finger gehorchen ihm. Aber die sind wie sein restlicher Körper an diesem Vormittag in eine Wolldecke mit Rentieren und Schneeflocken gehüllt. Er braucht auch Mitte April noch diese Winterdecke, sonst würde sein Körper schnell auskühlen.
Aus seinem Hals ragt ein Schlauch, nur ab und zu zischt es leise. Die Laute kommen von dem Gerät, das neben ihm auf einem Holzstuhl liegt. Seine Beatmungsmaschine. Auf sie ist der 28-Jährige seit Dezember 2016 angewiesen. Infektion, Herzstillstand. Koma. Für 37 unendliche Tage.
Benni Over fährt an Schulen und klärt über Palmöl auf
Aber sein Lebenswille ist stärker. Einer seiner ersten Sätze nach dem Koma: "Ich will wieder nach Indonesien!" Daran erinnert sich sein Vater Klaus Over noch heute.
Nun befindet sich die Familie aus Rheinland-Pfalz – dabei ist selbstverständlich auch Mutter Connie – nicht in Indonesien, sondern in Ingolstadt. Der Grund für den Besuch in Bayern ist jedoch Benni Overs Sehnsuchtsland und die Orang-Utans, die dort leben. Noch. Denn die Menschenaffen auf den Inseln Borneo und Sumatra sind vom Aussterben bedroht.
Vor allem, weil der Mensch ihren Lebensraum zerstört. Für die Produktion von Palmöl. Der Regenwald wird dafür gerodet, riesige Plantagen mit Monokulturen entstehen. Das beeinflusst nicht zuletzt das Klima. Bäume binden CO2 – werden sie abgeholzt, gelangt Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre.

Benni Over: "Orang-Utans haben auch eine Seele"
Seit Benni Over vor fünf Jahren im Berliner Zoo zum ersten Mal, eher zufällig, mit Orang-Utans in Kontakt kam, sie ihm tief in die blauen Augen schauten, steht für ihn fest: Er will ihre wilden Artgenossen und ihren Lebensraum retten. "Orang-Utans haben auch eine Seele", ist er überzeugt.
Aufhalten? Kann ihn nichts. Keine Lähmung, kein Rollstuhl, keine Beatmungsmaschine. Sein Vater sagt: "Das ist einfach seine Lebensaufgabe." Die Familie reiste zusammen schon in das südostasiatische Land, sah dort mit eigenen Augen die massive Zerstörung durch Palmöl-Plantagen und besuchte verwaiste Baby-Orang-Utans in Auffangcamps. Eigentlich klammern sie sich an ihre Mütter und leben in den Baumwipfeln des Regenwaldes. Doch viele der erwachsenen Tiere werden für die Plantagen von Wilderern getötet.
Benni Over knüpfte enge Kontakte mit Aktivisten wie dem Niederländer Dr. Willie Smits von der Masarang-Stiftung, die unter anderem Alternativen für Palmöl untersucht.
Stichwort: Zuckerpalme. Für sie muss kein Regenwald gerodet werden, denn sie lässt sich dort integrieren. Man kann ihr Saft entnehmen, ohne der Pflanze zu schaden.
Benni Over war schon lange vor Greta Thunberg aktiv
Aber zurück nach Deutschland: Benni Over ist mittlerweile sogar zum Botschafter für Orang-Utans ernannt worden. Ihm geht es um Aufklärung, um die Abkehr von Palmöl und ums Aufforsten. Schon lange bevor Greta Thunberg Schüler weltweit für den Klimaschutz auf die Straßen brachte, hat Benni Over Kinderbücher und -kurzfilme gestaltet und hält mit seiner Familie Vorträge an interessierten Schulen. Wie in Ingolstadt. Die Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung hat ihn eingeladen.
"Geht es euch gut?" ruft Benni Overs Vater in die Schülermenge. "Jaaaaaaaa!", schreien die Kinder langgezogen im Chor. "Geht das noch lauter?", heizt der Vater die Menge an, als wäre er professioneller Animateur. Er weiß nach vielen Auftritten, wie man Kinder erreicht. Stellvertretend für seinen Sohn – dem fällt lautes Reden wegen seines Luftröhrenschnitts schwer – übernimmt er die aktive Rolle auf der Bühne.
Benni Over ist dafür firm am Computer, seine Finger an der Maus geübt. Anfragen an Medien – das ist sein Part. Er ist auch sehr hartnäckig und kritisch, erzählt sein Vater im Gespräch mit der AZ. "Wenn ich beim Vortrag etwas nicht gut mache, muss ich mir das abends von Benni anhören", sagt Klaus Over schmunzelnd. "Oft sogar schon auf dem Rückweg im Auto."
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Benni Over: "Insgesamt gibt es nur noch 70.000 wilde Orang-Utans weltweit"
In Ingolstadt macht Klaus Over alles richtig. Er veranschaulicht das Thema mit einem Stoffaffen, erklärt, dass die echten Tiere 96,5 Prozent ihres Erbguts mit dem Menschen gemeinsam haben. Aber: "Insgesamt gibt es nur noch 70.000 wilde Orang-Utans weltweit." Und sie sind in großer Gefahr: "Pro Stunde werden 200 Fußballfelder Regenwald abgeholzt." Ein Jugendlicher fasst sich an den Kopf, er flüstert: "Heftige Geschichte".
Gebannt verfolgen die Schüler Benni Overs selbstgestalteten Kinderfilm über den kleinen Orang-Utan Henry, dessen Mutter getötet wurde.
Plötzlich steht ein blonder Bub mit Brille neben Klaus Over vor dem Publikum. Patrick will seinen Mitschülern etwas sagen, jetzt. "In Nutella ist dieses Palmöl auch drin! Mein Papa sagt, nur weil das billig ist."
Auch ein anderer Schüler meldet sich: "Es ist fies, dass man nicht weiß, wo noch überall Palmöl drin steckt. Wie findet man das raus?" Klaus Over erklärt, dass man die Inhaltsliste von Produkten wie Süßigkeiten anschauen muss – da steht drauf, ob es enthalten ist. Und die Schüler müssten keine Angst haben, nie mehr den Geschmack von Nutella genießen zu können: Schokocreme könne man auch selber zubereiten, ganz ohne Palmöl.

"Bennis Wald": Damit will er verlorenen Lebensraum retten
Verzichten möglichst viele Menschen auf solche Produkte, kann das die Produzenten unter Druck setzen. Aber trotzdem muss auch der bereits verlorene Regenwald wieder aufgeforstet werden. Das ist Benni Overs neueste Initiative. Er will allein insgesamt 100.000 neue Bäume pflanzen. Dafür arbeitet er mit Willie Smits zusammen, der in Indonesien lebt und unter anderem von 1992 bis 1998 persönlicher Berater des Forstministeriums der dortigen Regierung war. Seine Stiftung hat schon Millionen Bäume gepflanzt. Jetzt soll "Bennis Wald" entstehen. Mit Spenden will der 28-Jährige 100.000 Euro zusammenbekommen. Pro Baum ist ein Euro nötig (siehe unten). Der Verein Lebensraum Regenwald aus Nürnberg übernimmt die Koordination der Spenden.
Nach dem Vortrag stehen die Schüler um Benni Over herum, wollen sich mit ihm austauschen, Fotos machen. Auch als die Halle schon längst leer ist, kommen immer wieder einzelne Schüler zurück. Sie haben Bilder mit Orang-Utans für ihn gemalt und legen sie ihm auf die Winterdecke. Geschenke von Herzen – wie an Weihnachten.
Mehr Informationen unter www.henry-rettet-den-regenwald.de
So unterstützen auch Sie "Bennis Wald"
Benni Over träumt davon, den Orang-Utans in Indonesien ein Stück ihres Zuhauses zurückzugeben. Viel Regenwald ist schon vernichtet worden, der Aktivist will deswegen neue Bäume pflanzen. Er arbeitet dafür mit der Masarang-Stiftung aus den Niederlanden und dem Verein Lebensraum Regenwald aus Nürnberg zusammen. Gemeinsam wollen sie in Temboan in der Provinz Sulawesi Utara einen neuen Wald schaffen. Er soll heißen: Bennis Wald.
Als erster Schritt der Wiederaufforstung sind 200.000 Bäume nötig. Die Kosten für einen der schnell wachsenden Bäume liegen bei einem Euro. Für die Anpflanzung und Pflege in den ersten drei Jahren kommen nochmal 1,20 Euro pro Stück drauf. Benni Over hat sich vorgenommen, 100.000 Euro zu sammeln und damit das Geld für insgesamt 100.000 Bäume bereitzustellen.
Wer ihn dabei unterstützen möchte, kann seine Spende an folgendes Konto richten: Lebensraum Regenwald e.V., Sparkasse Nürnberg, BIC: SSKNDE77XXX IBAN: DE81760501010010334217 Stichwort: "Bennis Wald"
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