Herz und Sparkassenbuch
NÜRNBERG - Zwei Opern, die es in sich haben: „Die sieben Todsünden“ und „Der Kaiser von Atlantis“ werden am Stadttheater Fürth als Doppel gezeigt.
So unheimlich nah und gleichzeitig radikal fern dürften sich zwei Opern noch nie gewesen sein wie Kurt Weills „Die sieben Todsünden“ und Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“, die im Fürther Theater zum hochambitionierten Doppel zusammengespannt wurden. Zwei Musiker aus der gleichen Generation, beides Juden und auch wegen ihrer Kunst von den Nazis verfolgt, komponierten prägnante Bühnen-Metaphern, die vom hohen Preis des Überlebens erzählen. Während der spätere Broadway-Star Weill sein geheimnisvoll glitzerndes Stück auf der Emigranten-Station Paris zeigen konnte, kam Ullmann im KZ Theresienstadt mit der holzschnittigen Ballade nur bis zur Generalprobe und wurde 1944 in der Gaskammer ermordet. Erst 1975, in Deutschland sogar erst 1985, gab es davon Aufführungen. Ein denkwürdiger Abend, den Fürth zu bieten hat – mit der größeren Durchschlagskraft beim weniger raffinierten Teil.
Ob der an der polnischen Grenze geborene und zwischen Wien und Prag künstlerisch herangewachsene Ullmann etwas vom „Boandlkramer“ wusste, als er das Spiel von der „Tod-Verweigerung“ komponierte, bleibt unbeantwortet. Es ist eher zweifelhaft, denn sein streikender Sensenmann, der alle Welt samt ihrer Leiden zum Weiterleben verurteilt, handelt aus eigenem Entschluss. Nur der einsame Kaiser kann die gekippte Erlösungs-Ordnung wieder herstellen – wenn er sich zum Wohl der Allgemeinheit selber holen lässt. Das schlicht, aber klug gebaute Gleichnis schwebt wie auf Zitat-Wolken, denn Ullmann greift mit beachtlicher Handwerkskunst ins volle Musikleben.
Das zündet in Felix Eckerles Inszenierung, die sich auf der zuvor mit den „Todsünden“ ausgelegten ästhetischen Spur bewegt. Dort hatte sie es freilich nicht so leicht, denn Brechts listiger Stations-Text zur Weill-Musik, dem Geist von „Mahagonny“ mit Sünden-Sympathie zugewandt, ist vor lauter ironischer Brechung kaum zu fassen. Die Geschichte der schizophrenen Anna (eine Sängerin, eine Tänzerin), die ihre Zukunft auf „ein Herz und ein Sparkassenbuch“ baut und i.A. der Familie fürs Häuschen am Mississippi den Körper verkauft, bohrt sich höhnisch revuehaft in angstbesetzte Sehnsüchte.
Eckerle und sein Szenograf Johannes Conen haben dafür ein interaktives Licht-Spiel ausgedacht, das die Figuren zwischen Bühnen-Realität und Film-Überhöhung hin und her wechseln lässt. Gut anzuschauen, aber theatralisch clean bis zur Bewusstlosigkeit. Vor der beflimmerten Leinwand wird das lebende Familienbild als Männer-Quartett platziert, während die Ballett-Anna (Katharina Wiedenhofer in eigener, konventioneller Choreografie) mit der Song-Anna ringt. Barbara Emilia Schedel singt als zarte Opernsopran-Partie, was im Tonfall Lotte Lenya gehört und in Nürnberg von der damaligen Frivolitäterin Helen Vita interpretiert wurde. In Fürth bleibt das Zwielichtige, der angeschmutzte Tonfall trotz der schimmeligen Kostüme völlig aus. Dirigentin Judith Kubitz unterstreicht das noch. Sie betont mit dem verstärkten ensemble KONTRASTE den plakativen Orchester-Part hochfahrend auf Kosten der zu wenig prägnant bewältigten Texte, die so samt Sarkasmus charakterschwach gesungen im blitzenden Klang verschwinden.
Beifall für den zunehmend interessanten Abend, in dem noch mehr steckt. Dieter Stoll
Aufführungen: 17. bis 20.2 – Karten Tel. 974-2400 – Auf Bayern4 am 15.3. 19.03 Uhr
- Themen: