Heroldsbacher Tränen, jetzt auch in Gibitzenhof

Nach einem halben Stündchen Publikumsquälerei kommt die Madonna, greift zum Döner und rettet damit den Abend: Lisa Fitz an Bernhards »Mittagstisch«
von  Abendzeitung
Die Madonna auf Besuch in Gibitzenhof: Live und im Videofilm (mit Carolin Freund und Luise Kinder) in „Der deutsche Mittagstisch“
Die Madonna auf Besuch in Gibitzenhof: Live und im Videofilm (mit Carolin Freund und Luise Kinder) in „Der deutsche Mittagstisch“ © Joachim Werner-Cramer

Nach einem halben Stündchen Publikumsquälerei kommt die Madonna, greift zum Döner und rettet damit den Abend: Lisa Fitz an Bernhards »Mittagstisch«

Jetzt können es auch die Ungläubigen bestätigen: Eine Marien-Erscheinung hat was Erlösendes! Im Nürnberger Hubertussaal, wo ein Team vom Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm mit der strikt eigenartigen Theaterproduktion „Der deutsche Mittagstisch“ frei nach Thomas Bernhard eingezogen ist, kommt nach einem halben Stündchen Publikumsquälerei die Madonna vorbei und rettet den Abend.

Im Outfit ist Lisa Fitz, vom Chor der Dreieinigkeitskirche mit einem stilsicheren „Meerstern ich dich grüße“ angekündigt, absolut maiandachttauglich. Sternengesäumtes Gewand, goldenes Handtäschchen, gefaltete Hände, strahlblaue Augen. In Heroldsbach würden Tränen fließen. In Gibitzenhof auch, aber da kommt es vom Gelächter, wenn die Außerirdische einen Döner mampft, mit vollem Mund spotzend über die Ausländer herzieht „die uns alles wegfressen“ sowie mit Kampf-Historie aushilft: „Lass du nur die Türken klagen/Wie Maria sie erschlagen“.

Attacke mit Wut-Witz

„Dramolette“ nannte Thomas Bernhard, der Schimpfkanonier der deutschsprachigen Literatur, seine vor 30 Jahren verfassten Miniaturen, in denen er die Rest-Generation der Altnazis mit Wut-Witz attackierte. Übrig geblieben sind vom zähnefletschenden Neo- Dadaismus nur ein paar Spuren bei Nachlassverwalter Claus Peymann am Berliner Ensemble. Und auch Birgitta Linda, die sich die Sammlung für eine Frankfurt/Nürnberger Koproduktion vorgenommen hat, vertraut der Wortgewalt des Autors, den wir zuletzt in Nürnberg mit „Alte Meister“ und „Heldenplatz“ durchaus schlagkräftig erlebten, nicht wirklich. Sie hat Textproben als Knetmasse genommen und drumherum Irritationsmuster aufgetürmt, an denen der Zuschauer seine Nervenkraft testen kann.

Die Aufführung beginnt beim Suchen der Plätze, denn die Schauspielerinnen Carolin Freund und Luise Kinder, die auch in der Folge als dramaturgische Dominas den Fortgang auf und vor der Bühne streng bestimmen, tun alles für eine gepflegte Anarchie bei der Suche nach dem richtigen Stühlchen. Irgendwann hat jeder begriffen, dass es sich hier um ein Happening handelt – und erst dann geht es weiter.

Gemeine Nürnberger denken an „Schweig, Bub“

Inzwischen wurden 20 Personen auf vordere Stehplätze verwiesen. Sobald sie dort nach Noten greifen und Christian Gabriel die Stimmgabel zückt, ist alles klar. Freilich werden auch die Sänger barsch behandelt vom Duo, müssen also quasi mit Maria durch den Dornwald, ehe sie am „Deutschen Mittagstisch“ Platz nehmen, wo der gemeine Nürnberger zuverlässig an „Schweig, Bub“ denkt. Auch hier wird gelöffelt, aber Bernhard bevorzugt Buchstaben als „Nazi-Suppe“, in die als besondere Einlage etwas von den berühmteren Loriot-Nudeln rüberschwappt.

Vorher hatte es österreichernde Lautmalerei an einer vermuteten Leiche in der Teppichrolle gegeben. „A Doda“ war da zu würdigen, und zwar „zu-a-deggd“ mit „Baggbabbier“. Und leider auch die doofe Provokation mit zwei grimmig blickenden Springerstiefel- Figuren, die das Publikum gnadenlos penetrant zum Mitklatschen animierten – wohlwissend, dass man dabei, sei es als Herdentriebtäter oder als Spaßverderber – nur alles falsch machen kann. So billig rüpelte Bernhard nie.

Aber die Aufführung kann sich auf dieMadonna mit dem Videokranz verlassen. Auch auf die coole Nummer, wenn sie nach ihrem Bajuwaren-Lamento wieder ganz kontemplativ aus der theologischen Reizwäsche guckt und milde den verteilten Andachtsbildchen hinterher zur mobilen Autogrammstunde durch die Reihen wandelt. Was uns die Glaubenslehrer verschwiegen, ist jetzt mit blauem Filzstift bewiesen – der Familien-Name der Gebenedeiten lautet Lisa Fitz.

Dieter Stoll

Vorstellungen: 8., 9. und 22. bis 24.2. – Karten & 0911/261510.

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