Hebamme Astrid Giesen über Nachwuchsmangel und Probleme des Berufsstands

Nachwuchsmangel, belegte Kreißsäle, zunehmende Zentralisierung: Die Vorsitzende des Bayrischen Hebammen-Landesverbands Astrid Giesen über die Probleme ihres Berufsstands und den runden Tisch, der diese lösen will.
Erstmals werden sich Vertreter aller Verbände und Institutionen, die mit der Geburtshilfe-Versorgung zu tun haben, zusammen an einen Tisch setzen. Hebamme Astrid Giesen erklärt im AZ-Interview, wie schlecht es um ihre Berufsgruppe im Freistaat bestellt ist, mit welchen Problemen die Hebammen konfrontiert sind und wo man sich Lösungen abschauen könnte.
AZ: Frau Giesen, wie geht es den bayerischen Hebammen?
ASTRID GIESEN: Was die Haftpflicht angeht, haben wir seit 2015 eine vorübergehende Entspannung. Was aber ganz brisant ist, sind die Arbeitsverhältnisse in Kliniken, der Hebammenmangel und dass Frauen mit Wehen zum Teil weggeschickt werden müssen. Das ist vor allem in München ein großes Problem. Und völlig unverständlich ist für uns, dass der GKV-Spitzenverband nun Kürzungen für Beleghebammen fordert, wo wir eh schon diesen Mangel haben.
In München treffen Sie heute Gesundheitsministerin Melanie Huml. Was erwarten Sie?
Es ist ein erstes Gespräch mit allen Verbänden, um Lösungen für die sehr angespannte Situation zu suchen. Es ist gut, dass wir eingeladen wurden. Wir haben ja Ideen, etwa zur Zentralisierung. Ich werde sagen, dass man die einfach besser planen muss.
Immer mehr kleine Häuser müssen bereits schließen. Heute, sagt Ministerin Huml, erreiche noch jede Frau in einer zumutbaren Zeit eine Geburtsklinik.
Das stimmt nicht. Bad Tölz hat zum 1. April geschlossen, jetzt müssen Frauen aus der Jachenau 50 Minuten fahren – bei gutem Wetter. Das ist nicht zumutbar.
Welche Lösung schlagen Sie vor?
Man müsste im ländlichen Raum einfach andere Strukturen schaffen, damit die Frauen beispielsweise auf der Fahrt begleitet werden. Nicht jede Frau braucht eine High-Tech-Versorgung, das ist ja auch teuer. Die außerklinische Geburt wird damit ganz klar zunichte gemacht.
Wie könnte so ein Geburtszentrum aussehen?
Es braucht eine entsprechende Ausstattung und es sollte mehrere Türen geben: Für normal gesunde Frauen, die mit einer Hebamme gebären wollen, für die, die einen Arzt dabei haben wollen, und für Risikopatientinnen.
Wie sieht es mit der Geburtshilfe in anderen Ländern aus?
Wir können uns viel von Skandinavien abschauen. Dort ist die Hebamme die Primärversorgerin und der Arzt übernimmt nur bei hohem Risiko.
Hier bieten ja auch immer weniger Hebammen überhaupt die Begleitung der Geburt an. Viele konzentrieren sich auf Vor- und Nachsorge.
Das ist ein großes Problem, ja, denn es ist ja eigentlich die ureigene Aufgabe der Hebamme. Als ich vor 35 Jahren mein Examen gemacht habe, sind alle aus meiner Klasse in die Geburtshilfe. Heute ist es nur noch die Hälfte. Da muss man sich fragen, was falsch ist.
Woran könnte das liegen?
Generell ist die Hebammenausbildung eine Sackgasse, daher auch der Nachwuchsmangel. Wir fordern daher, sie an die EU anzugleichen, als Hochschulausbildung, auch, um auf Augenhöhe mit den Ärzten zu arbeiten. Die Vergütung tut ihr Übriges: Für die Verantwortung, die wir tragen, ist sie einfach nicht gerecht.
Sie müssen aktuell schon mal drei, vier Frauen in den Wehen gleichzeitig betreuen.
Es ist oft ein Wunder, dass dabei kein Schaden passiert. Die Mütter fühlen sich allein und kriegen Angst. Aber das Wichtigste bei der Geburt ist, dass sie sich sicher fühlen. Für uns Hebammen ist das frustrierend. Wir haben ja gelernt, eine Frau zu begleiten. Es ist einfach keine befriedigende Situation.
Also müssen die Rahmenbedingungen insgesamt besser werden.
Es ist einfach nicht passend, dass wir nach einer Fallpauschale abrechnen. Eine Geburt ist keine Operation. Jede Frau hat dabei ihr eigenes Tempo. Eine Geburt lässt sich nicht einfach in eine Ziffer sperren.
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