Hauptsache bewegend!
Mit „Nächster Halt: Freiheit“ leitet Daniela Kurz den Abschied von Nürnberg ein. Doch über den Weggang will sie noch nicht nachdenken, denn sie hat „den Kopf voll“ mit unsortierten Ideen fürs neue Stück.
Bilanziert wird später, jetzt ist Produktion angesagt. Nürnbergs Tanztheater-Direktorin Daniela Kurz, die zehn Jahre lang am Opernhaus und drum herum ihrer selbst gebastelt Doppelsinn-Parole „Hauptsache bewegend“ gerecht zu werden suchte, steht vor der letzten Premiere – und mag noch nicht über Abschied reden. Sie hat „den Kopf voll“ mit unsortierten Ideen fürs neue Stück. „Nächster Halt: Freiheit“ (Premiere; 17. Mai) ist ein Recherche-Projekt, typisch zumindest für die letzten zwei Drittel der Amtszeit, als die Compagnie im Pendelverkehr zwischen „Zooming“-Intimität und gesellschaftskritischer Großbild-Ästhetik ihren Weg gefunden hatte. Nächstes Jahr ist wieder „Ballett“ in Nürnberg, jetzt kommt nochmal „Tanztheater“ mit sprechenden, springenden und singenden Akteuren. Die Basis dafür schufen gezielte und gestreute Publikumsbefragungen.
AZ: Was wollten Sie eigentlich erfahren?
DANIELA KURZ: Wie Menschen von heute den Begriff „Freiheit“ definieren. Wir haben uns mit Hilfe unserer Datei an die Zuschauer gewendet, sind aber auch ganz direkt auf Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zugegangen.
Zum Beispiel?
Mehrere Nürnberger Menschenrechtspreisträger waren bei uns im Ballettsaal und haben mit der Compagnie lange Gespräche geführt. Das war bewegend, manchmal emotional durchaus im Grenzbereich.
Wenn Sie ein Stück über Hamlet, über Kaspar Hauser, Emma Goldmann oder Glenn Gould entwickelten, hatten Sie konkrete Figuren vor Augen. Ist „Freiheit“ für den Tanz nicht arg abstrakt?
Das war zu ergründen. Wir wollen ja nicht dauernd im eigenen Erkenntnisbrei herumrühren und gingen deshalb ein hohes Risiko ein. Keiner wusste, was die Recherche ergibt, aber grade das macht den Reiz aus: Auf den Impuls warten!
Kam er denn pünktlich?
Es gab eine besonders spannende Anfangsphase, als sich überraschend herausstellte, wie schwer es für alle Beteiligten ist, die persönliche Bedeutung von „Freiheit“ ganz simpel zu beschreiben. Alle, ganz gleich ob in anonymen Fragebögen oder beim Interview mit Prominenten, waren schnell im philosophischen Bereich. Freiheit wurde da nicht als Eigenwert definiert, sondern in der Abgrenzung zur Unfreiheit.
Diese Stellungnahmen fließen als Zitate zum Tanz ein?
Nein, ganz im Gegenteil – um authentische Äußerungen außerhalb der Correctness zu bekommen, haben wir sogar versprochen, sie nicht mit Quellenangabe zu verwenden. Es sind Anregungen.
Wer hat denn das Material geliefert?
Von Marianne Birthler über Charlotte Knobloch bis Renate Schmidt, aber auch Roger Willemsen hat uns einen wunderbaren Text überlassen, und die Autorin Juli Zeh schrieb uns zwei kleine Szenen. Daraus entsteht momentan der Spannungsbogen, unter dem Momente von Utopie auch ihren Platz bekommen werden.
Gegen „Freiheit“ wird ja niemand etwas gehabt haben..
Der Begriff ist in aller Munde und wird in jeglicher Form ausgebeutet. Während unserer Arbeit hat er mich jeden Tag aus der Zeitung wie aus der Werbung angesprungen. Es war geradezu gespenstisch.
Was beweist, dass er auch eine Floskel ist...
Ja, leider! Aber wir befassen uns eher mit den Bedrohungs-Aspekten, wollen die Gefährdung definieren und bewusst machen in einem Kaleidoskop von Impulsen.
Trotzdem bleibt die Frage: Wo ist der Punkt, an dem Sie nicht nur bewegt sind, sondern Bewegung erfinden – also in Ihrer eigenen künstlerischen Sprache reagieren?
Ganz egal, was ich sehe oder lese oder höre – für mich verbindet sich das sofort mit spontan entstehenden Bildern. Nicht nur im Arbeitsprozess, sondern ganz grundsätzlich. Nehmen wir zum Beispiel das Thema „Folter“. Da gibt es gespeicherte Bilder nach Interviews über Gefangenenlager, aber auch die Assoziation mit der Eisernen Jungfrau von Nürnberg. Das setzt sich zusammen, ohne dass es jemand wieder auseinandernehmen könnte.
Gibt es denn ein Ziel für solch einen Abend?
Das hat mich jemand aus dem Publikum gefragt, aber da konnte ich nicht helfen. Was wir leisten wollen und hoffentlich können, ist das Schleudern durch eine Unzahl von Eindrücken, mit denen jeder für sich umgehen muss. Die beängstigenden Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart schärfen vielleicht Bewusstsein dafür, dass wir wieder mehr Verantwortung übernehmen müssen.
Wie steht es denn ums Bewusstsein Ihrer Tänzer?
Wir sind ein bunter Haufen von Nationalitäten, wo viele über Zustände in ihrer Heimat reden. Jetzt während der Proben wurde daraus ein richtig offener Intensivkurs. Mit dem Material, das sich daraus ergab, könnten wir noch zwei weitere Stücke machen.
Vor zehn Jahren sind Sie in Nürnberg mit einem „Aschenputtel“-Ballett angetreten. Hat „Nächster Halt: Freiheit“ damit noch etwas zu tun?
ch habe die Entwicklung so nicht geplant, das ist aus sich selbst heraus Schritt für Schritt gewachsen. Jedes Stück provoziert das nächste, und das erste war damals der klare Anfangs-Impuls.
Interview: Dieter Stoll
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- Charlotte Knobloch