Hämmer der Unterwelt

Zwischen singender Säge und karelischem Folk: Martti Trillitzsch, Franke aus Finnland, gibt Tipps für den Länderschwerpunkt beim Bardentreffen
von  Abendzeitung
Ragtime und Balkan-Rhythmen auf der Mundharmonika: Sväng ist ein gefragter Weltmusiker-Exportartikel – am Sonntag in St. Katharina.
Ragtime und Balkan-Rhythmen auf der Mundharmonika: Sväng ist ein gefragter Weltmusiker-Exportartikel – am Sonntag in St. Katharina. © Veranstalter

NÜRNBERG - Zwischen singender Säge und karelischem Folk: Martti Trillitzsch, Franke aus Finnland, gibt Tipps für den Länderschwerpunkt beim Bardentreffen

Gastland beim Bardentreffen 2008 ist Finnland — für mich als halben Finnen natürlich das Jahreshighlight. Wobei diese „Gastland“-Sache auch eine heikle Geschichte und eine repräsentative Bandauswahl durchaus in die Hose gehen kann. Um es vorwegzunehmen: Sie ist es nicht. Das Kulturreferat als Veranstalter hat auch ganz ohne den Kioski (als einziger finnischer Plattenladen Deutschlands gewissermaßen ausgewiesener Spezialist) ein glückliches Händchen bewiesen mit Gruppen, die ein plastisches Bild der Eigenheiten Finnlands auf der musikalischen Weltkarte vermitteln.

Ganz tiefer Blick in die finnische Seele

Gleich am ersten Abend gibt es eine kleine Sensation zu erleben: Alamaailman Vasarat (finnisch für „die Hämmer der Unterwelt"), eine sechsköpfige Formation, die exemplarisch zeigt, wie Jazz, osteuropäische Folklore und Prog-Rock auf einen Nenner gebracht werden können. Schon auf Tonträger ein Parforce-Ritt durch die Genres (Goran Bregovic trifft Apocalyptica), darf man live eine groovende, explosive Mischung erwarten. Schön für die Bardentreffen-Gäste, schlecht für mich, da ich selbst zeitgleich auf dem Lorenzer Platz mit Mäkkelä's Trash Lounge auftrete.

Der Samstag lässt dann einen ganz tiefen Blick in die finnische Seele zu. Uusikuu spielen finnischen Tango und Salonmusik der 30er bis 60er Jahre. Schmerzhaft-schöne Musik, die den Zuhörer direkt auf einen der traditionellen „Lava Tanssit“ (typisch finnische Wochenend-Tanzveranstaltung) versetzt.

Dass nicht alle Finnen ausschließlich vor sich hin melancholisieren, beweisen La Sega del Canto mit einem sympathischen Augenzwinkern. Das Duo, dessen charakteristischstes Soundmerkmal sicher die virtuos gespielte „singende Säge" ist, verbindet finnische Folklore, Kinderlieder und Jazz mit Comedy-Elementen, ohne dabei ins allzu Platte abzugleiten — Humor der leiseren Sorte, der dennoch zum Brüllen komisch ist.

Am Sebalder Platz darf man sich auf eine der wichtigen Weltmusik-Künstlerinnen aus Finnland freuen: Pauliina Lerche. Die zierliche Künstlerin stammt aus Rääkkylä im Osten Finnlands, hat an der Sibelius-Akademie in Helsinki Volksmusik studiert und kombiniert karelische (ost-finnische) Folk-Tradition mit weltmusikalischen und Pop-Einflüssen. Eine absolut sehenswerte, brillante Musikerin, die obendrein auch noch das finnische Nationalinstrument, die Kantele (eine Art Zither), spielt.

„Mahtava!“

Spätestens seit Aki Kaurismäkis Film ist die vielköpfige Rock'n'Roll-Truppe Leningrad Cowboys das pop-kulturelle Markenzeichen Finnlands und nicht nur im eigenen Land eine regelrechte Institution, auf die sich die Fans genre- und altersübergreifend einigen können. Zugegebenermaßen wird bei den Leningrad Cowboys musikalisch das Rad nicht neu erfunden, aber wen stört das, wenn Finnen erst mal am Feiern sind? Die Leningrad Cowboys sind ein Party-Ereignis, das zu Finnland gehört und am Hauptmarkt an einem Samstagabend völlig seine Berechtigung hat.

Zum Ende des Festivals gibt es am Sonntag noch zwei phantastische Bands zu sehen. Das Mundharmonika-Quartett Sväng ist aktuell einer der gefragtesten Weltmusik-Exportartikel Finnlands. Eine brillant gespielte Mixtur (richtig: nur Mundharmonikas), die den Bogen von Ragtime über Balkan-Rhythmik bis hin zum Tango spannt.

Mein persönlicher Favorit ist auf dem diesjährigen Bardentreffen allerdings Marko Haavisto und seine Band Poutahaukat, dem einen oder anderen vielleicht als Heilsarmee-Band in Kaurismäkis Film „Der Mann ohne Vergangenheit" bekannt. Man könnte das musikalisch als soliden Roots-Rock abhandeln, würde damit allerdings der Sache nicht gerecht. Bei Haavistos Stücken geben sich Rock'n'Roll, Rautalanka (seit den 60ern populäre Instrumentalmusik à la Shadows oder Sputniks), Iskelmä (der tief melancholische Schlager Finnlands), intensive, persönliche Texte und ganz großes Songwriting die Hand. Nachzuhören auf seinem soeben in Deutschland veröffentlichten neuen Album „Hollolasta Teksasiin“. Für mich sind Marko Haavisto & Poutahaukat die Band des Festivals, die Finnland am eindeutigsten verkörpert, so finnisch wie Sauna, Koskenkorva-Wodka oder Salzlakritz-Pastillen. Ganz groß! Oder wie man in Finnland sagt: „Mahtava!“ Martti Trillitzsch

Die Finnen beim Festival: Alamaailman Vasarat (Fr, 21 Uhr, Insel Schütt); Mäkkelä’s Trash Lounge (Fr, 21 Uhr, Lorenzer Platz); Uusikuu (Sa, 16 Uhr, St. Katharina); Pauliina Lerche (Sa, 18.30 Uhr, Sebalder Platz); La Sega del Canto (Sa, 19 Uhr, Insel Schütt; So, 14 Uhr, Trödelmarkt); Leningrad Cowboys (Sa, 21.30 Uhr, Hauptmarkt); Sväng (So, 18.30 Uhr, St. Katharina); Marko Haavisto & Poutahaukat (So, 19 Uhr, Sebalder Platz)

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