Grete Schickedanz: Sie musste um ein Stückchen Brot betteln

Die trostlose Welt der kleinen Grete Lachner, die dann als Grete Schickedanz und Quelle-Chefin Geschichte schreibt.
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Als Grete Schickedanz geht sie später in die deutsche Wirtschaftsgeschichte ein.
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Das Lehrmädchen packte kräftig mit zu: Grete Lachner (links) beim Postversand in der Quelle.
abendzeitung 2 Das Lehrmädchen packte kräftig mit zu: Grete Lachner (links) beim Postversand in der Quelle.

Die trostlose Welt der kleinen Grete Lachner, die dann als Grete Schickedanz und Quelle-Chefin Geschichte schreibt.

FÜRTH Am Abend des 13. Juli 1929, kurz vor München an der Ingolstädter Landstraße, hatte ein Unfall fast eine ganze Familie ausgelöscht. In dem Wrack des Firmenwagens starben Gustav Schickedanz’ Ehefrau Anna, sein kleiner Sohn Leo und der 72-jährige Vater des Jungunternehmers. Nur Gustav Schickedanz hatte die Tragödie überlebt, schwerverletzt – und seine damals vier Jahre alte Tochter Louise. Und noch jemand war dem Tod wie durch einWunder entkommen: das damalige Lehrmädchen Grete Lachner, die Vertraute von Anna Schickedanz und in der aufstrebenden Firma längst unentbehrlich geworden.

Sie hätte bei der Todesfahrt nach München dabei sein sollen, doch sie war lieber daheim in Fürth geblieben. Anna Schickedanz hatte ihrer musikbegeisterten Vorzugs-Mitarbeiterin für den Samstagabend eine Konzertkarte geschenkt. Dass das einstige Lehrmädchen einmal die Stelle der von ihr so verehrten Chefin einnehmen sollte, beruflich und privat, dass die aus ärmsten Verhältnissen stammende Frau Jahrzehnte später als die Vorzeige-Unternehmerin Deutschlands gelten wird – davon haben die Träume der Grete Lachner damals ganz bestimmt nicht gehandelt.

Grete Schickedanz, geborene Lachner, kommt am 20. Okober 1911 auf die Welt – eine Welt, die nicht recht viel trostloser, düsterer und armseliger sein hätte können. Den Wochenlohn, den ihr Vater als Flaschnergehilfe nach Hause bringt, ist zum Sterben zu viel, zum Leben entschieden zu wenig. Ihre Mutter muss als Hilfsarbeiterin mitverdienen, damit es für die fünf Lachner-Kinder und den mehr als bescheidenen Haushalt in der Flößaustraße wenigstens zum Notwendigsten reicht.

Grete Lachner wird aus finanzieller Not bald bei der Großmutter und einem Onkel untergebracht. Im Wirtshaus des Onkels verdient sich das unterernährte Kind manchmal ein paar Pfennig Taschengeld, an der Theke oder als Aushilfskellnerin. Das Geld liefert sie bei den Eltern ab.

Christian Böhner, Verfasser der Biographie „Grete Schickedanz – vom Lehrmädchen zur Versandhauskönigin“ (Ullstein-Verlag), berichtet in seinem Buch von der tiefsten Erniedrigung im Leben der Unternehmerin – als sie zusammen mit ihren Brüdern bei den Bauern im Fürther Umland ums tägliche Brot betteln musste.

„Die Bauern in Dambach“, erinnert sich Grete Schickedanz später, „waren die schlimmsten und die geizigsten.“ Statt einem Stück Brot oder einem Becher Milch gab es bei den Bauern von Dambach nur wüste Drohungen und Verwünschungen. In jenem Fürther Vorort, in dem sich Jahrzehnte später Grete und Gustav Schickedanz auf einem riesigen, gut bewachten Areal ihre Familienburg bauen.

Das arme Mädchen gehörte schon bald zur Familie

Nach der Hungerzeit Anfang der zwanziger Jahre wollte Grete Lachner nach oben, wenigstens ein bisschen. Ihr Traumberuf war Kindergärtnerin, ihr sehnlichster Wunsch der Übertritt von der Volksschule in ein Gymnasium. Beides hätte Geld gekostet, es blieben Wunschträume. In der Vorweihnachtszeit 1926 riet ihr die Großmutter: „Probier’s doch einmal bei der Frau Schickedanz, vielleicht hat die eine Stelle für dich.“

Gustav Schickedanz’ junge Ehefrau Anna war von dem selbstbewussten Mädchen von Anfang an begeistert. Im Januar 1927 wurde Grete Lachner als fünftes Lehrmädchen in der Kurzwarengroßhandlung von Gustav Schickedanz fest angestellt.

Die Arbeitsbedingungen lesen sich heute wie ein Stück Arbeitnehmer-Albtraum: ein Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tag, ganze 21 Reichsmark Monatslohn. Und von dem kargen Lohn gab das Lehrmädchen jeden Monat fünfzehn Mark ihren Eltern.

Das „Frollein Grete“ aus der Flößaustraße hat’s geschafft

Dennoch – von den Entbehrungen dieser Zeit hat Grete Schickedanz später nie gesprochen. Für sie, das bettelarme, ausgehungerte Mädchen aus der Flößaustraße, war die neue Stelle in der Schickedanz GmbH fast das Paradies. In der kleinen Firma an der Moststraße war sie schnell zuständig für die Warenkontrolle, für das Zusammenstellen der Lieferungen, für den Postversand, gelegentlich auch für Einkauf und Buchhaltung. Und sie gehörte bald gewissermaßen auch zur Familie.

Mehrmals in der Woche kümmerte sich Grete Lachner um die Schickedanz-Kinder Leo und Louise. Als „Frollein Grete“ genoss sie im Geschäft und in der Familie nicht nur hohes Ansehen – vor allem Zuneigung. Das Stehaufmädchen aus der Flößaustraße hatte es geschafft.

In welchen schwindelerregenden Höhen ihre Karriere einmal enden sollte – das hatte ihr damals einer geweissagt, der auch von ganz unten kam: Ein Hausierer während der Fürther Kirchweih. Der „Rabbomacher“ – so nannten die Fürther in Anlehnung an das jiddische Wort Reibach verächtlich die Alleshändler mit ihren Rucksackläden – hatte sich in der Kurzwarengroßhandlung Schickedanz für die geschäftsträchtigen Kirchweihtage eingedeckt. Und als das Frollein Grete kurz einmal wegschaute, ließ er ein Paket Schnürsenkel in seinen tiefen Taschen verschwinden. Doch die Grete hatte aufgepasst. Freundlich lächelnd schrieb sie dem Rabbomacher die Rechnung. „Und die Schnürsenkel in Ihrer Tasche“, sagte sie, „die schreim mer auch mit drauf, gell?“

„Hosd mi derwischd, Madla“, lachte der Hausierer. „Du bisd a ganz Helle. Aus dir werd nu amol wos.“

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