Gläserne Pusteblumen im Sarg

Die gebürtige Nürnbergerin Kiki Smith mit "Her Home" in der Kunsthalle
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Frauen unter sich: Kiki Smith mit einem ihrer Glasfenster in der Nürnberger Kunsthalle.
Berny Meyer Frauen unter sich: Kiki Smith mit einem ihrer Glasfenster in der Nürnberger Kunsthalle.

NÜRNBERG - Die gebürtige Nürnbergerin Kiki Smith mit "Her Home" in der Kunsthalle

Wenn das keine gelungene Eingemeindung ist: Eine höchst erfolgreiche amerikanische Künstlerin, documenta-, Biennale- und MoMA-geadelt, wurde 1954 als Tochter einer hier engagierten Opernsängerin in Nürnberg geboren. Zwei Jahre später kehrte die Künstlersippe an die US-Ostküste zurück. Aber Nürnbergerin bleibt man immer.

Es ein Glück, dass die Kunsthalle die verlorene Tochter Kiki Smith mit „Her Home“ nach Nürnberg holte. Angeregt durch eine Seidenstickerei aus dem 18. Jahrhundert, die drei Lebensstadien der Frau zeigt, hat Kiki Smith ein Frauenuniversum geschaffen, zart und schroff, schwarzweiß und schillernd zugleich, das in seiner Stringenz fasziniert.

Da ist am Eingang die silberne junge Frauenpuppe im Negligé mit einem goldenen Vogel auf der Hand, die einem in verschiedenen Stadien wiederbegegnet. Als Mädchen mit Kunstblumenstrauß, im besten Alter mit androgynem Kurzhaarschnitt oder als alte Frau. Eine kleinere Version der Skulptur sitzt schwarz auf einem Sockel; an den Wänden Tuschefenster, spärlich mit Blumen oder einem Vogel dekoriert.

Schon steckt man mitten im Kiki-Kosmos, wo Sterne Blumen zum Verwechseln ähneln, Vögel in versilberten Latten-Nestern an der Decke hängen, Glühbirnen in Zahnstocher-Strahlenkränzen leuchten, nervös gestrichelte Frauen mit ernstem Blick auf blinden Fenstern schweben und dunkelfarbige Blumenstilleben – radiert in altmeisterlicher Manier – an den Wänden prangen.

Smith schöpft aus dem Vollen, nutzt Gold und Silber, Glitzer und Glitter im Überfluss, schafft mit feinem, herben Strich kindlich-ernsten Wasserkopfgesichter. Dabei stößt sie unweigerlich zum Lebens-Thema Tod vor: Eine alte Frau scheint sich gequält in ihrem Sarg zu wälzen. Schwarze Vögel und Sterne sind wie Ascheflocken vom Himmel gefallen. In einem hölzernen Sarg wachsen hauchfeine Pusteblumen. Auch sie im Endstadium ihrer Existenz, ja. Aber wenn ein Wind die Samen weiterträgt, entsteht neues Leben.

Smiths Kunst bewegt sich auf der Grenze zur christlichen Mythologie, lässt aber eine Bedeutung offen: „Annunciation“ etwa kann Verkündigung wie Ankündigung bedeuten. Mit ihren kostbaren Materialien greift sie lustvoll in die Kunstgeschichtskiste und schafft mit ihrer „Sybills“-Reihe oder den Blumenstillleben Dejà-vu-Erlebnisse, die haften bleiben. Georg Kasch

Kunsthalle (Lorenzer Str. 32): bis 16. 11., Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr

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