Gift ins Dreivierteltaktgefühl

Ausgiebiger Premieren- Applaus für eine verhalten flatternde „Fledermaus“ in der Oper des Nürnberger Staatstheaters
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Gruppenbild mit Gerichtsdienern: Volker Heißmann, Isabelle Blechschmidt, Rainer Zaun, Heidi E. Meier und Martin Rassau (v.li.).
Jutta Missbach Gruppenbild mit Gerichtsdienern: Volker Heißmann, Isabelle Blechschmidt, Rainer Zaun, Heidi E. Meier und Martin Rassau (v.li.).

Ausgiebiger Premieren- Applaus für eine verhalten flatternde „Fledermaus“ in der Oper des Nürnberger Staatstheaters

Am Opernhaus ist ein interessantes wissenschaftliches Experiment geglückt: Man kann stundenlang zwei Herren in Unterhosen über die Bühne jagen, ohne dass jemand auf die Idee käme, das für frivol zu halten. In der Neuproduktion der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß, vom jungen Team um den belgischen Regisseur Waut Koeken mit sparsamer Dekoration und verhaltenem Humor inszeniert, wird die Frage nach der Moral von der Geschicht’, die ja in aller Melodienseligkeit die bessere Gesellschaft als Bescheißer-Kartell zeigt, sehr verdeckt gestellt.

Immerhin: Dass der plüschige Traum-Raum der Sünden-Sehnsucht (2. Akt bei Party-Prinz Orlofsky) bloß die vergrößerte Ausgabe des bürgerlichen Salon-Miefs (1. Akt daheim bei Frauchen) ist und der betrügerische Ehemann im erotischen Maskenspiel zielsicher die eigene Frau erwischt, darf als Hinweis auf selbstreinigende Kräfte im System gewertet werden. Solche Anfechtungen brauchen keinen Nacktscanner. Ihre Leitkultur ist durchschaubar bis auf die Unterhose.

Der Himmel hängt voller Lampen, wenn sich der Vorhang für einen Vorhang öffnet. Kronleuchter und Nippesfiguren schweben über der samtsitzigen Welt des Gabriel von Eisenstein (Jochen Kupfer zeigt ihn als Kampf-Spießer mit Wucht-Bariton) und seiner Gattin Rosalinde (Sybille Witkowski singt sehr konzentriert und spielt fast gar nicht), die beide nach Abwechslung gieren. Er sucht „Frischfleisch“ außer Haus, sie hat den Liebhaber schon am Sofa. Tilman Lichdi gibt einen schmetternden Turnschuh-Tenor mit Prälatenstrümpfen, lässt neben vielen Arien-Zitaten mit gewisser Logik als erster die Hose fallen – und bekommt im hochstaplerischen Gefängnisdirektor (Rainer Zaun wirft das Revue-Bein und kratzt sich an unbeschreiblicher Stelle) einen Bruder im Geiste der aufgerüsteten Underwearmacht. Die gurrende Teresa Erbe findet das als russlanddeutscher Warhol-Vorfahre Orlofsky nachvollziehbar langweilig, dafür ist Heidi Elisabeth Meier mit perfekt zündenden Adele-Koloraturen allzeit bereit zu einer weiteren Runde Soubretten-Sause.

Der Regisseur mag mit seinem eigenen Entwurf vom Einheitsbild der Lustgewinnler (selbst im Vogelkäfig-Gefängnis stapelt Ausstatter Yannik Larrivée die roten Standard-Polsterstühle) nichts riskieren. Waut Koeken ordnet im Hintergrund ein paar Traumsequenzen, lässt Leerstellen vom Ballett austänzeln und versammelt die Solisten zum Rampen-Rapport. Der Chor, gut bei Stimme und zuverlässig in den rhythmischen Zuckungen, schätzt den Halbkreis als Sammelpunkt. Das Schweben von Kronleuchtern, Gefängniszellen und Sektgläsern verweist auf Sehnsucht nach Schwerelosigkeit. Doch hinter den Charaktermasken der Rollen, die alle mit glitzernden Strauß-Klängen blenden können, findet die Regie nur bodenständige Komiker.

Das können Volker Heißmann und Martin Rassau besser, wenn sie die Aufführung im dritten Akt entern. Da werden die Philharmoniker als „Spielmannszug“ begrüßt und die nervende Champagner-Laune mit einem „Hefala Glühwein“ ausgebremst. Das Fürther Derblecker-Duo hat also eigene Frechheiten mitgebracht, was kein Schaden ist, und spritzt mit Grüßen an den anwesenden Sourisseaux und den abwesenden Söder belebendes Gift ins Dreivierteltaktgefühl. Das funktioniert allerdings nur, solange sie als Logenschließer und „renitenter Abonnent“ maulend auf Distanz bleiben, denn im Gefängniswärter-Rollenspiel lernen die Fürther Gäste die Laubsaugerkraft der großen Nürnberger Amüsiermaschinerie kennen und werden samt ihrer Witze neutralisiert.

Eindeutiger ist der musikalische Erfolg. Christof Prick hat die Partitur kräftig durchlüftet und die Noten auf die Rennstrecke geschickt. Keine ranzige Wiener Schmähschmelze, schon gar nicht der oft als Walzerkönigs Narrenkappe verkaufte Haudrauf-Schlendrian, aber eben auch keine philharmonische Standpauke. Eine vital komödiantische Lesart der veredelten Kabinettstückchen ist zu erleben, jedes nach seiner Art behandelt und flott zusammengebaut zum fordernden Klang-Kaleidoskop. Damit machen Prick und sein munteres Orchester Druck auf die Szene – und die kann das dringend brauchen. Das Premieren-Publikum nahm ähnlich viel Anlauf wie die Sänger, applaudierte dann aber ausgiebig. Auch erleichtert, denn beim Verbeugen war weit und breit keine Unterhose mehr zu sehen. Dieter Stoll

Nächste Aufführungen: 4., 13., 18., 21., 28. und 31. Dezember

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