Gesellschaft am Sargloch

Der Berliner Regisseur über die Nürnberger Uraufführung von „Am Tag der jungen Talente“, über Geld und den Verlust von Illusion und Hoffnung.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Ein Hundstag, an dem alles schief geht: Christoph Mehler macht die erste Premiere im Schauspiel-Ersatzquartier Tafelhalle.
Berny Meyer Ein Hundstag, an dem alles schief geht: Christoph Mehler macht die erste Premiere im Schauspiel-Ersatzquartier Tafelhalle.

Der Berliner Regisseur über die Nürnberger Uraufführung von „Am Tag der jungen Talente“, über Geld und den Verlust von Illusion und Hoffnung.

Eine triste, traurige Situation“ ist Ausgangspunkt für „Am Tag der jungen Talente“: Die Beerdigung des verschuldeten Vaters treibt die Familie zusammen. Den ewigen Studenten, seine Schwestern mit den Künstler-Träumen und der bürgerlichen Existenz. Mit dem Onkel aus dem Osten und die Scheidungs-Mutti steuert das Ereignis auf die Katastrophe zu. Der Berliner Christoph Mehler inszeniert die Uraufführung von Polle Wilbert als ersten „Versuchsballon“ des Sanierungsfalls Schauspielhaus am Ausweichspielort Tafelhalle (Premiere am Samstag mit Adeline Schebesch, Gina Henkel, Frank Damerius u.a.). Wir sprachen mit dem Gast-Regisseur, der Dimiter Gotscheff als „einen seiner großen Künstler-Väter“ bezeichnet und gerade dabei ist, „seinen eigenen Weg zu finden.“

AZ:Herr Mehler, Kunstperformance im Grab, Probeliegen im Sarg – das hört sich nach schwarzem Humor britischer Machart an.

CHRISTOPH MEHLER: Es ist eine Groteske, klar. Aber englischer Humor ist eher so klipp-klapp. Und dieser Text hat eine merkwürdige Kunstsprache.

Gestelzt?

Etwas ganz Eigenes. Teilweise ist das altmodisch, teilweise wirken die Figuren durch die Sprache überzeichnet. Das sind offene Bücher: Sie sagen, was sie tun, und dadurch wird es grotesk, weil sie sich erklären und nicht verhalten wie sich Klein-Fritzchen eine Beerdigung vorstellt. Aber das ist kein Schenkelklopfer-Humor.

Ist der Tod lustig?

Nee, glaub’ ich nicht. Der Tod ist sehr, sehr fremd. Gerade auch für meine Generation. Ich bin zur Vorbereitung auch mal in so ein Beerdigungsinstitut, um mir das anzugucken. Und das hat per se etwas Verstörendes. Das ist ja auch Thema: Der Tod gehört zum Leben, aber wie gehen wir damit um.

Eine glückliche Familie erlebt man ja hier nicht. Geht’s um Verdrängung, Familienkrisen oder um eine deutsch-deutsche Geschichte?

Das Stück streift ziemlich viele Themen. Da muss man sich dann entscheiden. Mich interessiert in erster Linie die Familie, das Zwischenmenschliche. Um es hochtrabend zu formulieren: der Spiegel einer Gesellschaft, die am Sargloch steht. Woher kommt diese Armut, dass man sich entscheidet, jemanden in so eine Ikea-Kiste zu stecken und ihn runter zu knallen wie früher in ein Massengrab?

Es geht also ums Geld?

Es geht total um Kohle, um eine Erbschaft. Es spielt mit all den Mechanismen von Familienkatastrophen. Das finde ich schon interessant, dass es sich eine Gesellschaft im Spätkapitalismus nicht mehr leisten kann, ihre Toten mit Respekt oder nach gewissen Riten unter die Erde zu bringen. Müsste ich jetzt eine Beerdigung hätte ich arge Probleme, das mit 15000 Euro Kosten hinzukriegen. Und würde mich wahrscheinlich auch wie die Leute in dem Stück für Birkefurnier entscheiden müssen, ohne Ausschlag, ohne Matratze, ohne Sargbeschläge. Aber neben der Beerdigung ist natürlich der Punkt, dass sich da die Leute wiedersehen nach vielen, vielen Jahren. Wie knallen die aufeinander? Wie gehen Biographien auseinander? Und wie verfällt man sofort wieder in alte Muster? Die Beerdigung ist eigentlich nur Folie, um menschlich verkrüppelte Leute zu zeigen.

Warum sind denen Illusion und Hoffnung abhanden gekommen?

Meine Generation ist nicht mehr politisch interessiert, desillusioniert. Was will man heute noch machen? Die 68er wollten wenigstens noch was. Die hatten ja ein Feindbild. Ich kann nicht mal mehr gegen die Eltern sein. Auch das ist ein Thema in dem Stück. Was hat unsere Generation noch großartige Illusionen? Kohle machen, Karriere machen. Das ist es doch in dieser Generation des Mauerfalls. Alles ist gestorben, alles ist aufgehoben.

Ein Vakuum also?

Glaube ich schon. Es gibt eine große Vereinsamung. Ich habe gerade ja „Pornographie“ in Berlin inszeniert, wo Menschen in so einem wahnsinnigen Überdruck leben und ihr Leben aber gleichzeitig wieder aufs etwas Eigenes reduzieren.

Können Sie uns eigentlich den Titel „Am Tag der jungen Talente“ erklären?

Im Osten gab’s das „Haus der jungen Talente“. Heute würde man dazu sagen, „Deutschland sucht den Superstar“. Daher kommt der Querbezug, glaube ich, dass jeder zeigt, wo er gerade steht. Für mich übersetzt bedeutet der Titel, das ist so ein Hundstag, wo alles schief geht.

Interview: Andreas Radlmaier

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.