Gerhard Ludwig Müller: Der Kardinal Fehler

Wie Kardinal Gerhard Ludwig Müller blitzartig in mein Leben trat und ebenso schnell wieder verschwand.
Martin Balle |
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Ein Mann der Tradition: Kardinal Müller beim Kötztinger Pfingstritt 2016.
Armin Weigel/dpa Ein Mann der Tradition: Kardinal Müller beim Kötztinger Pfingstritt 2016.

Meine Einladung vor Jahren bei dem damaligen Bischof von Regensburg Gerhard Ludwig Müller verdanke ich einer Glosse, die ich in jener Zeit über ihn im Straubinger Tagblatt geschrieben hatte. Zum Schrecken vieler war Gerhard Ludwig Müller 2002 zum Bischof von Regensburg berufen worden. Ihm ging ein zweifelhafter Ruf voraus: Erzkonservativ, dogmatisch, engstirnig.

Am Ende war alles noch viel schlimmer. Der Bischof war bei allen Bedenken in Regensburg zwar noch herzlich empfangen worden, aber schnell wurde die neue Linie klar. "Top down" nennt man einen solchen Führungsstil in der Wirtschaft, und theologisch war er tatsächlich am äußersten konservativen Rand der Kirche angesiedelt.

Schnell hatte er die Sympathien bei den meisten verspielt und bestimmte in den Zeitungen mit seinem hartleibigen Kurs die Negativ-Schlagzeilen.

Die Kirche erschien ihm so unbefleckt wie einst die Gottesmutter Maria

In meiner Glosse, die ich ihm damals als offenen Brief schrieb, forderte ich ihn im letzten Satz auf, das Rad der Zeit wenigstens nur um 200 Jahre zurückzudrehen, aber nicht um 2000! Und so brachte mir dieser Text eine Einladung nach Regensburg zum Abendessen im Garten des Bischofs ein. Offenkundig hatte ihm sein Pressereferent nahegelegt, einen überraschend wildgewordenen Verleger bei einem Glas Wein und einem schönen Abend wieder zu beruhigen.

Der Bischof begrüßte mich freundlich in seinem Garten. Vor ihm stand eine offene Flasche Weißwein, die das Etikett "Ewiges Leben" trug. Zu Gast war auch noch ein junger Priesterkandidat aus Südamerika. Denn Gerhard Ludwig hatte bekanntermaßen eine zweite Seite in seiner Persönlichkeit.

Er sympathisierte offen mit der Befreiungstheologie in Lateinamerika, die sich mit dem Unrecht der Welt nicht abfinden wollte, und kannte von daher auch engagierte Priester aus den Ländern, die hier wichtig sind. Der Abend war angenehm, denn Gerhard Ludwig ist auch ein gebildeter Philosoph, mit dem man aus dem Stegreif über den dänischen Philosophen Sören Kierkegaard diskutieren kann, als hätte er ihn gerade erst gelesen.

Von Regensburg nach Rom

Humor hatte er auch. Als er mir ein dickes Buch von sich schenkte, fragte er mich, ob er es signieren dürfe oder ob ich es dann für verdorben hielte. Diesem Abend folgten noch zwei weitere Einladungen in den Garten des Bischofs, als aber unsere Zeitung ihren bischofskritischen Kurs unverändert beibehielt, wurde ich nicht mehr eingeladen. Wenn ich ehrlich bin, nie mehr.

Eines Tages wurde Bischof Gerhard Ludwig nach Rom berufen. Das war eine kluge Entscheidung. Denn die Dinge in Regensburg waren immer weiter eskaliert, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann entweder die katholische Jugend der Oberpfalz oder die Bewegung "Wir sind Kirche" den alt-ehrwürdigen Regensburger Dom aus Protest in die Luft sprengen würde.

Diese Entwicklung war offensichtlich auch im weit entfernten sonnigen Rom nicht unbemerkt geblieben, und so holte man den Sohn der Kirche 2012 doch lieber rechtzeitig heim. Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre erhielt er einen Fünf-Jahres-Vertrag und sollte eher theoretisch über die Wahrheit des Glaubens wachen. Man hätte denken können, dass er jetzt nicht mehr viel falsch machen könnte.

Aber im weltweiten Missbrauchsskandal der Kirche war genau dieses Amt gefordert; und weil der Bischof, der jetzt schon Kardinal war, meinte, dass die Kirche unbefleckt sei wie einstmals die Gottesmutter Maria, wurde er auch dort zur akuten Fehlbesetzung. Für ihn gab es gar keinen Missbrauchsskandal, so hatte er es ja auch in Regensburg schon gehalten.

Kardinal Müller fand, dass zu viel Armut der Mutter Kirche schade

Bei einem dreitägigen Besuch im Vatikan in dieser Zeit wurde mir schnell klar, welche Stimmung und Atmosphäre in diesen Tagen im Vatikan herrschte. Unserer Reisegruppe wurde bei einem Abendessen ein italienischer Bischof vorgestellt, der heute unser Gesprächspartner wäre. Sein einziges Thema war, dass er als Bischof mit einer Diözese in Afrika betraut wäre, aber noch niemals dort gewesen sei; aber wichtig sei ja vor allem, dass er jetzt Bischof wäre.

Ich hatte noch nie in meinem Leben einen solchen Jahrmarkt der Eitelkeiten erlebt und wunderte mich.

Der Vatikan war wie eine Spielwiese für Kinder, die glücklich sein wollten. So verstand ich plötzlich auch, weshalb alle, die nicht unbedingt die mühsame Arbeit im Weinberg des Herrn verrichten wollten, so dringend nach Rom drängten. Denn dort schien in jeder Weise den ganzen Tag die Sonne, und es schien auch so, als gäbe es draußen gar keine Welt mehr.

Papst Franziskus’ Worte sind für Müller ganz alltägliche Äußerungen

An einem Tag aber wurde alles anders. Ein neuer Papst wurde gewählt. Der nahm die Rede von der Armut der Kirche, die der alte Papst Benedikt in Freiburg gerade noch gehalten hatte, wörtlich und weigerte sich, auch nur im Vatikan einzuziehen. Er begann, von der Not in der Welt zu sprechen und den Reichen und Mächtigen der Welt ins Gewissen zu reden.

Das aber war denen, die noch im Vatikan saßen, nicht recht. Denn sie waren selber reich und mächtig und wollten es auch bleiben. Für sie war der neue Papst ein Spielverderber, von dem sie nie geglaubt hätten, dass es ihn überhaupt gibt. Und unser Kardinal Gerhard Ludwig Müller fand auch, dass so viel Armut der glanzvollen Mutter Kirche schade, und so setzte er sich gerne an die Spitze der Bewegung derer, die lieber von den alten goldenen Zeiten träumten.

Das höfliche Kirchenoberhaupt

Unglücklicherweise aber lief gerade sein Fünf-Jahres-Vertrag aus, und der neue Papst, der der neue Trainer einer Mannschaft war, die er aus einem jahrelangen Tiefschlaf aufwecken wollte, verlängerte ihn schlicht nicht. Weil das Gespräch, in dem der neue Papst dem alten Kardinal erklärte, dass es nicht weiterginge, nur eine Minute dauerte, verkündete Gerhard Ludwig in den Zeitungen der Welt, dass der Papst ihn unmenschlich behandelt habe.

Und in der Tat – ich finde auch, dass der neue Papst dieses Gespräch ruhig hätte länger führen können. Aber er hatte wohl zu viel Stil.

Jetzt schreibt der Kardinal am Ende seines Lebens konservative Manifeste und gibt papstkritische Interviews. In Wirklichkeit sei der Papst von "Hofschranzen" umgeben. Das Kardinalskollegium, dem er selbst angehöre, werde abgewertet zum "Honoratiorenverein zu Repräsentationszwecken". Außerdem sei der Papst ein ganz normaler Mensch. Das hatte vorher nur Hans Küng gesagt, aber dem wurde es ja dann verboten. "Wenn Franziskus zu diesem oder jenem Vorgang in der Welt etwas sagt, ist das genauso viel oder wenig wert wie das Urteil jeden Bürgers, der seine Meinung äußert." Um ehrlich zu sein, das hätte Küng nicht gesagt. Auf keinen Fall, da bin ich mir sicher.

Auch Fragen der Sexualität werden von Gerhard Müller in seinem "Spiegel"-Interview von letzter Woche letztgültig beantwortet: "Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird, wir werden geboren als Mann oder Frau."

Hosianna. Hosianna!

Ich muss zugeben, dass ich seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Kardinal Gerhard Ludwig Müller habe. An die Abende im Bischofsgarten denke ich gerne zurück, weil auch dort immer die Sonne schien. Einmal im Jahr kommt der Kardinal noch in sein altes Bistum zurück. Da reitet er beim Kötztinger Pfingstritt mit. Da sitzt er dann hoch zu Ross. Und ich gebe zu, dieses Foto bringen wir gerne. Es spricht ja doch Bände.

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