Geretsried: Wohin ist die Skulptur von Alf Lechner verschwunden?

GERETSRIED - In Geretsried ist ein Teil eines Werkes von Alf Lechner verschwunden. Der Künstler ist empört, der Dieb wohl ein Banause.
Neben einem Betonrohr und alten Steinteilen liegen drei verrostete Metallformen in der Ecke des Parkplatzes neben der neuen Seniorenresidenz in Geretsried: ein Kuchenstück, eine Halbkugel und ein schiefes Trapez. „Versinkende Gruppe“, das ist der Name der vier Tonnen schweren Metall-Skulptur des bayerischen Bildhauers Alf Lechner. Doch es sind nur noch drei der ursprünglich fünf Teile da. Der Rest ist weg, verschwunden. Der Künstler vermutet, dass „dumme Menschen“ das Kunstwerk nicht als solches erkannt haben. „Die hielten meine Kunst wohl für Schrott“, meint er. Jetzt kümmert sich die Polizei um den Fall.
Der 84-Jährige Lechner macht abstrakte Skulpturen, oft aus massivem Stahl. In München steht vor der Alten Pinakothek sein Werk „Zueinander“, er hat den bayerischen Verdienstorden und in Ingolstadt ist ein Museum nach ihm benannt. Doch offenbar ist seine Kunst nicht für jeden erkennbar - was jetzt in Geretsried zu den rätselhaften Ereignissen führte.
Pro Tonne stahl zahlen Händler derzeit 60 Euro
Bis vor gut einem Jahr war die Skulptur von Alf Lechner, die der Künstler an der Fließrichtung der Isar ausgerichtet hatte, deutlich sichtbar. Die Bundesanstalt für Arbeit, wie sie damals noch hieß, gab das Kunstwerk vor knapp 20 Jahren bei Alf Lechner in Auftrag. 1992 wurde die „Versinkende Gruppe“ in Geretsried aufgestellt.
Doch dann wechselte das Gelände den Besitzer und das alte Arbeitsamtsgebäude wurde abgerissen. Der neue Besitzer, die ILG Fonds GmbH, errichtete dort eine Seniorenresidenz. „Noch vor einem guten Jahr, war die Skulptur da“, erzählt Harald Sachers aus Geretsried. Er wohnt ein paar Häuser weiter, ist seit 30 Jahren mit Lechner befreundet und schätzt dessen Kunstwerke sehr. „Als die Bauarbeiten für das das Altenheim begannen, wurde das Gelände mit der Skulptur abgesperrt“, sagt er. Und diese Bauarbeiten wurden dem Kunstwerk zum Verhängnis. „Ich hab mal ganz unbedarft nachgefragt bei einem Bauarbeiter, wo denn die Metallteile wären“, erzählt Harald Sachers. „Der antwortete mir, die Teile seinen ein Kunstwerk und das sei eingelagert worden. Auf dem Bau wusste man also von dem Wert der Skulptur.“
Auf 200.000 bis 300.000 Euro schätzt Lechner des künstlerischen Wert seiner Arbeit. Sie hat aber auch einen ganz profanen Materialwert. Auf dem Schrottplatz bekommt man derzeit für Stahl ungefähr 60 Euro pro Tonne.
Dass sein Werk womöglich für dieses Geld verscherbelt wurde, ärgert Lechner. „Menschen, die Kunst beschädigen, halte ich für uninformiert“, erregt sich der Künstler. „Auf Grund ihrer Dummheit erkennen sie ein Kunstwerk nur, wenn es im Museum ausgestellt ist. Aber meine Skulpturen werden im Freien aufgestellt und können nur mit dem Kran verrückt werden.“
Noch liegt keine Anzeige vor
Umso kurioser ist es, wie die rund zwei Tonnen schweren Teile überhaupt unbemerkt von der Baustelle abtransportiert werden konnten.
Von dem Verlust der Teile hatte Alf Lechner erst vor ein paar Wochen von seinem Freund Harald Sachers erfahren. Jetzt kümmert sich sein Anwalt darum, die Besitzfrage der Skulptur zu klären.
Denn es ist nicht sicher, ob mit dem Verkauf des Geländes auch die Skulptur in den Besitz der Fonds-Gesellschaft übergegangen ist. Der zuständige Sachbearbeiter bei der Fonds-Gesellschaft weilt allerdings derzeit im Weihnachtsurlaub. Jetzt ist auch die Polizei in Geretsried auf den vermeintlichen Kunstraub aufmerksam geworden. Sie hat sich bereits mit dem Zeugen Sachers in Verbindung gesetzt. „Anzeige ist noch nicht erstattet worden“, meint Sachers, „aber die Polizei will jetzt klären, was überhaupt weggekommen ist.“ Sachers und Lechner hoffen nun, dass sich die gut zwei Tonnen Kunst auf irgendeinem Schrottplatz wiederfinden.
Johanna Jauernig