Geld ist nicht alles – aber alle

NÜRNBERG - Jubel satt: Stefan Otteni hat aus Elfriede Jelineks Wirtschafts-Komödie „Die Kontrakte des Kaufmanns“ ein giftig brodelndes Kunststück geformt.
Den Literatur-Nobelpreis hätte die Wortspieltriebtäterin Elfriede Jelinek für dieses bestens gelaunte Untergangs-Szenario auf Kleinanleger-Ebene ganz sicher nicht bekommen, aber vielleicht den Förderpreis des Nürnberger Burgtheaters. Was angemessen wäre, denn Hilfe braucht die versketchte Textlawine, die vom Gipfelpunkt der Weltwirtschaftskrise an einer Schreibmaschine losgetreten und ins Tal der Tränen geschickt wurde, unbedingt. Hat sie in der Nürnberger Tafelhalle nun denkbar bestens bekommen. In Stefan Ottenis Inszenierung von „Die Kontrakte des Kaufmanns" werden die Tränen gelacht und die Zuschauer für gescheit verkauft. Das soll dem Theater erst mal einer nachmachen.
„Geld ist nicht alles – es ist bloß alle!", sagt uns der Vermögensverwalter zum Überraschungs-Nichts auf dem Konto. Da ist die Entfernung vom „mündelsicheren" Papier zur Aufforderung „Mund halten" nur ein so kleiner Jelinekscher Trippelschritt wie die Wortdistanz in der Verstiefbrüderung von „Erlös" und „Erlösung", weil schließlich beides derzeit schwer zu kriegen ist.
Österreichs lebendigste Kultur-Legende, bevorzugt für die Bühne die Kalauerstellung und hat als selbsternannte „aktuelle Eingreiftruppe" auf die unheimliche Welt der Finanzen reagiert – mit höchstpersönlich geschürften Rohstofflieferungen zu einem sarkastischen Begleitprogramm für den Fall einer Freiheit, die zum freien Fall gekippt wurde. Bei der Kölner Uraufführung von Jelinek-Spezialist Nicolas Stemann entstand daraus ein vierstündiger Abend voller ausgekosteter Ironie-Zumutungen, in Nürnberg dauert alles halb so lang und ist doppelt so schlagkräftig.
Auf etwas Bewegung, neben der geistigen auch körperlicher Art, muss sich der Zuschauer einstellen, wenn er mit Schaumstoff-Sitzkissen unterm Arm die leer geräumte Tafelhalle betritt. Dort gibt es mehrere Spielpodeste unterm schwebenden Euro-Mobile, eine Kanzel für zinslosen Schuldverschreibungs-Zynismus und dazu hochpoetische Aufforderungen wie „Greifen Sie zu". Aber man muss auch einem Sturmlauf lebender Pommes-Tüten und Gemüsestangen ausweichen, von Geistermund bedrohlich aufgeblasenen Hüpfburgen entkommen und immer mal wieder Platz machen für die Sirtaki-Selbstfindungsgruppe, die sich da rhythmisch in Bilanzkurven wiegt.
Die sechs Schauspieler können das – und noch viel mehr. Gina Henkel und Tanja Kübler, Thomas L. Dietz, Stefan Lorch, Felix Axel Preißler und Dietmar Saebisch stürzen unerschrocken auf die grellen Kostüm-Köstlichkeiten aus der Fundus-Kuriositätenabteilung (die Angermann-Bären aus „Hänsel und Gretel" jetzt also im Nahkampf) und kreisen damit die Wiener Wortschlachtschüssel ein. Bis sie treuherzig singen können, dass doch niemand was anderes will als so zu sein wie die Deutsche Bank: „Freundlich und kompetent".
Stefan Otteni ist ein giftig brodelndes Komödien-Kunststück gelungen, wie er aus dem maßlosen Wortschwall, der die Banalität des Blöden mit dessen eigenen Waffen bekämpft, seine Spott-Collage filtert. Die Jelinek gerät da manchmal in die Mühlen der Harald-Schmidt-Show, und es könnte ihr für diesen speziellen Fall gar nichts Besseres passieren.
Die Akteure beherrschen auch ungewohnte Spielarten von Improvisation in herrlichster Klamottenseligkeit und verpassen dem Entertainment am Ende die nötige kalte Dusche. Mit antiker Chor-Wucht wird den Opfern der Krise mitgeteilt, dass sie selber schuld sind und Suizid nicht die schlechteste Lösung ihrer Probleme wäre. So dreht der Zynismus eine besonders spitzfindige finale Solo-Pirouette – und geht strampelnd unter im Publikumsjubel, der die Aufführung überfällt. Nichts wie hin!
Dieter Stoll
Nächste Aufführungen: 22., 29., 31. Oktober, sowie 1., 11., 14., 25.November. – Karten unter Tel.0180-5-231-600