Geisterstunde im Depot
NÜRNBERG - Die Textilabteilung des Germanischen Nationalmuseums bereitet Schätze aus dem Depot für die Dauerausstellung vor und könnte etwas Abkühlung vertragen
Wie ein kriegssicherer Bunker wirkt das Textildepot im zweiten Untergeschoss des Germanischen Nationalmuseums, verborgen hinter doppelt verschlossenen Feuerschutztüren. In der sich langsam öffnenden Kompaktanlange stehen gespenstisch lächelnde Dekorationspuppen in bunten Trachten und starren ins Leere.
Jutta Zander-Seidel, Leiterin der Sammlung Textilien und Schmuck im GNM, und Restauratorin Ada Hinkel sind froh, für den AZ-Blick hinter die Kulissen des Museums einen modernen Depotraum präsentieren zu können. Es gibt auch ältere, „mit denen man vorübergehend leben muss“, so Zander-Seidel. Aber auch sie lassen sich nicht mit den unsäglichen Zuständen in den Städtischen Depots vergleichen.
Hier unten sorgt eine lautlose Be- und Entlüftung dafür, dass der säuerliche Pestizid-Geruch nicht zu penetrant wird. „Eines ist sicher: Motten gibt es hier keine“, sagt Hinkel. Gut für die Textilien ist diese Chemikalie allerdings auch nicht — eine Erkenntnis, die sich erst in den vergangenen Jahrzehnten durchsetzte.
Vier Etagen drüber, in den Räumen der Textilrestauration, sieht man die Turmspitze der Jakobskirche über die Dächer lugen. Wie passend, dass eines der Projekte, die auf die Restauration des mittelalterlichen „Spieleteppichs“ folgt, die Pilger-Kleidung des Nürnberger Kaufmannssohns Stefan Praun ist. Für seine Fahrt nach Santiago de Compostella besaß er repräsentative Gewänder wie einen schwarzen Hut mit Stäben aus Bein, Jakobusfiguren aus Gagat und Muscheln, ein prächtiges Cape, einen schwarzen Ledermantel sowie Rosenkranz und Pilgerstab.
Die seltenen Kleidungsstücke überstanden die Zeiten nach Prauns Tod im Kunstkabinett seines Bruders und befinden sich seit 1825 als Dauerleihgabe im Museum. „Oft bekommen wir Leihanfragen für diese Stücke, müssen sie aber wegen der Materialempfindlichkeit ablehnen“, sagt Zander-Seidel.
Vom Oktober des nächsten Jahres an werden die Exponate Teil der neu konzipierten Schausammlung zur Kunst und Kulturgeschichte von 1500 bis 1800 sein. Dort wird auch eine Flinderhaube mit unzähligen freischwingenden Metallplättchen zu sehen sein, die Nürnberger Patrizierinnen als Festschmuck trugen.
„Die Sanierung und Neuordnung der Dauerausstellungen wird die nächsten 30 Jahre in Anspruch nehmen“, schätzt Zander-Seidel. Dabei müssten auch die Werkstätten mit neuester Klimatisierungstechnik ausgestattet werden. In der Textilienabteilung hilft man sich mit Thermohygrographen, einer überholten Technik zur Klimakontrolle, Jalousien gegen die Sonne und Gläsern mit Wasser, um die für Stoffe erforderlichen 18 Grad, 50 Lux und 43-45 Prozent Luftfeuchtigkeit zu halten. Ein Spagat, der die Geisterversammlung im Keller kalt lassen dürfte. Georg Kasch
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