Geister für die Zukunft

NÜRNBERG - Die Partnerstädte Prag und Nürnberg wollen neuen Schwung in ihre Beziehungen bringen
Erst die Autobahn, dann der Kulturaustausch: Nur eine Woche, nachdem die Politprominenz auf der nun vollendeten Verbindungstrasse zwischen Nürnberg und Prag mit Europa-Floskeln und Eröffnungs-Schere hantiert hatte, soll die fränkisch-tschechische Gruppenschau „Im Querschnitt“, die bis 28. Oktober im prächtig barocken Stadtarchiv-Palais Prags zu sehen ist und Ende Februar im Nürnberger Kunsthaus, das Näherrücken der beiden ungleichen Partnerstädte markieren.
Es ist auch der Versuch eines (im Umfang bescheidenen) Neustarts auf zweiter Ebene. Denn auf der Überholspur bewegten sich die Beziehungen seit 1990 nicht. Tschechiens herausgeputzte Hauptstadt, die gleich mit vier deutschen Städten (Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Berlin) verbandelt ist, lehnte seinerzeit bekanntlich auch Nürnbergs gemeinsames Kulturhauptstadt-Ansinnen ab. Und wer an einem verregneten September-Morgen im Blechknäuel-Stau (Prag hat angeblich Europas höchste Autodichte pro Einwohner) Besucherströme venezianischen Ausmaßes zwischen Hradschin und Altstädter Ring erlebt, ahnt, dass zwischen einer Millionen-Metropole und einer Metropolregion leichte Bedeutungsunterschiede vorherrschen könnten.
Auch wenn es inzwischen keine Grenze mehr gibt auf den drei Autostunden, sieht Norbert Schürgers, der Leiter des Amtes für Internationale Beziehungen, trotz geographischer Nähe und verbindender Geschichte „immer noch so manche Barriere in den Köpfen“. Das Clam-Gallas-Palais ist passende Ausgangsbasis für Gegenmaßnahmen: Geht es doch zunächst ums Beschwören gemeinsamer Vergangenheit, die in der Person Kaiser Karls IV. kulminiert. Kulturreferentin Julia Lehner an der Spitze der Nürnberger Delegation erinnerte bei der Ausstellungseröffnung ebenso daran wie Archivdirektor Václav Ledvinka (der im Oktober auf einem historischen Symposium der „Verlorenen Nähe“ – so der Titel – zwischen Prag und Nürnberg, einst „die wichtigste Stadt, die uns mit dem westlichen Europa verbunden hat“, nachspürt). Und Markéta Reedová, Prags stellvertretende Oberbürgermeisterin, ergänzte hoffnungsfroh: „Alte Liebe rostet nicht.“
„Geistern der Vergangenheit“ begegnet der Besucher dann auch in dem von Thomas May kuratierten Paarlauf. So heißt nicht nur ein Schreibmaschinen-Gespenst von Xénia Hoffmeisterová im barocken Kamin. Auch Pirko Julia Schröders Nasszellen-Schwindel passt bestens dazu: Ihre Augentäuscher-Fotoarbeit (verranzte Dusche als 1:1-Modell) ist süffisanter Vorgriff auf die Fränkische Galerie und Hinterlassenschaft des Bordells, das sich mal in der Schnell-Villa befand.
Repräsentativ für die Gesamtszene ist dieser „Querschnitt“ natürlich nicht. Doch die Berührungspunkte, die May setzen wollte, funktionieren bei den acht Künstlern. Nicht nur bei Schröder und der Fotografin Veronika Bromova, die seltsame Fruchtbarkeitsjungfern mit Stinkmorcheln kombiniert. Hubertus Hess, der einem Fasan in adliger Umgebung einen rostigen Käfig schuf, verträgt sich gut mit den wüsten Materialschlachten Zdenek Berans, Hoffmeisterovás Bildwitz gut mit Peter Angermanns Wimmeln aus Farbe, Figuren und Landschaften, wo das Matterhorn brüllt und das Glühwürmchen die Nacht zum Tag macht. Fränkische Phantasien, die um die Ecke liegen. Als Angebot zum gegenseitigen Näherkennenlernen. Dass auch die Prager Kunstszene hier weitgehend unbekannt ist, ist für Angermann kein Wunder: „Man schaut immer nach Westen. Das wird sich herauswachsen.“ Andreas Radlmaier