Geiseldrama in Ingolstadt: Jetzt spricht der Bürgermeister

Am Montag war der Ingolstädter Bürgermeister Sepp Mißlbeck stundenlang in der Gewalt eines Geiselnehmers. In der AZ erzählt er über die schweren Stunden. 
von  Julia Lenders

AZ: Herr Mißlbeck, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht’s Ihnen?

SEPP MISSLBECK: Mir geht’s wirklich gut. Das sage ich aus voller innerer Überzeugung. Ich habe das gut verdaut. Der Arbeitsalltag hat mich schon wieder. Ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass ich nicht die Zeit habe, den Montag dauernd Revue passieren zu lassen. Das ist halt passiert. Aber wir haben alles gut überstanden. Der Alltag geht weiter. Ich habe das abgehakt.

So schnell?

Ich meine schon, ja. Meine Frau sagt zwar auch, das wird vielleicht nochmal hochkommen. Aber momentan geht es mir sehr gut.

Wie geht es denn den anderen Rathausangestellten, die Geiseln waren – insbesondere natürlich Ihrer Sekretärin, die der Täter schon seit langem gestalkt hat?

Ich habe mit ihr am Tag danach kurz telefoniert. Da war ihre Stimme gefasst, aber man weiß ja nie, wie es bei einem drinnen aussieht. Wir haben ihr gesagt, sie soll jetzt mal ein paar Tage Sonderurlaub nehmen und sich bis Ende nächster Woche erholen. Ich will jetzt bewusst nicht wieder anrufen und sie stören. Zu Hause kann sie sich am besten abschirmen. Wie es danach weitergeht, werden wir sehen.

Wussten Sie vom Stalking-Problem Ihrer Sekretärin?

Ich habe schon gewusst, dass sie bedrängt wird. Der Täter stand ja auch erst vor Kurzem vor Gericht. Die Gefahr ist natürlich immer, dass man so etwas nicht so ernst nimmt, wie man müsste. Dass sich das in dieser Dimension auswirkt, konnte aber niemand ahnen. Das hat sie wohl selbst auch nicht befürchtet.

Lesen Sie hier: Ingolstadt: Geiselnahme beendet - Sechs Schüsse im Rathaus!

Gab es eine besonders brenzlige Situation während der neunstündigen Geiselnahme?

Die ersten ein bis zwei Stunden war der Täter natürlich sehr aggressiv. Das ist wohl auch normal. Er hat sich vielleicht über Wochen oder Monate auf das Ganze vorbereitet und war dann selbst sehr aufgeregt und nervös. Er hatte die Pistole die ganze Zeit in der Hand und hat klar gemacht, dass er der Herr der Lage ist. Wir haben dann versucht, vernünftig und in aller Ruhe die Situation unter Kontrolle zu halten. Ich habe mich bemüht, beruhigend auf ihn einzuwirken.

Sie erzählen das so nüchtern. Hatten Sie denn keine Angst?

Ich habe mich bemüht, meinen Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass sie nicht unmittelbar in Gefahr sind. Deshalb musste ich zumindest nach außen ruhig wirken. Eigene Nervosität oder Aggressionen hätten den Geiselnehmer nur noch zusätzlich hochgeschaukelt. Aber innerlich hat's in mir natürlich schon gearbeitet, da war schon Bewegung - das ist doch ganz logisch. Aber ich will da jetzt gar nicht mehr so drüber reden. Wichtig ist bloß: Wir haben diese Stunden überstanden. Die Polizei hat einen souveränen Job gemacht.

Warum kamen Sie vor den anderen beiden Geiseln frei?

Der Geiselnehmer wollte, dass der Oberbürgermeister einen Brief schreibt, in dem er ihn rehabilitiert. Dieser Brief sollte bescheinigen, dass das Urteil des Landgerichts, das vor drei Wochen wegen Stalkings gegen ihn verhängt worden ist, ungerecht war. Ich sollte bei diesem Brief eine Vermittlerrolle einnehmen - und konnte deshalb gehen. Ich selbst wollte danach wieder zurück, das hatte ich den anderen Geiseln versprochen. Die Polizei ließ mich aber nicht mehr ins Rathaus.

Welche Konsequenzen sollten aus dem Vorfall gezogen werden?

In einem Rathaus gibt es permanenten Publikumsverkehr. Was wollen Sie da mit Sicherheitsschleusen? Ich glaube nicht, dass es da praktikable Lösungen gibt. Man muss das Ganze mal nüchtern betrachten: Ich bin ein alter Ingolstädter, ich lebe seit fast 70 Jahren in dieser Stadt, und so etwas ist noch nie vorgekommen.

Was sollte mit dem Täter Sebastian Q. geschehen?

Da möchte ich kein Urteil abgeben, das ist Sache der Gerichte. Das Wichtigste ist für mich, dass die drei jüngeren Leute, die auch dabei waren, das Ganze verarbeiten können – am Anfang gab es ja noch eine vierte Geisel, die schon nach einer Stunde gehen durfte, weil es ihr gar nicht gut ging. Ich selbst komme mit dem Erlebnis klar, davon bin ich überzeugt.

 

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