Funkelnd und gnadenlos
NÜRNBERG - Der neue Roman von Marlene Streeruwitz, den sie heute beim Erlanger Poetenfest vorstellt, fordert heraus: „Kreuzungen“ erkennt keine Regeln an
Wenn Frauen sich in Männer-Kopfwelten begeben, aus der Sicht eines männlichen Protagonisten schreiben, ist das ein Gefühlsexperiment. Siri Hustved, mit Ehemann Paul Auster ein Mittelpunkt der New Yorker Szene, hat es zuletzt getan in „Die Leiden eines Amerikaners“. Marlene Streeruwitz, die Wiener Dramatikerin und Schriftstellerin („Nachwelt“, „Entfernung“), erforscht nun im Roman „Kreuzungen“ die Allmachtsfantasien eines obszön reichen Mannes. Heute um 20 Uhr im Erlanger Markgrafentheater stellt sie sich beim Poetenfest vor.
Streeruwitz (58) ist eine streitbare, um analytische Schärfe nie verlegene Autorin, eine Feministin und Sprachschöpferin, die lustvoll Regeln missachtet – hier auch der Syntax, Grammatik und Interpunktion, was den Leser stellenweise zwingt, frei zu assoziieren, Sätze zu vollenden. Dieser stilistischen Eigenwilligkeit fügt man sich nach einer Weile durchaus gerne.
Was aber von der ersten Seite an irritiert: Streeruwitz’ Protagonisten muss man erst mal aushalten können, diese funkelnde Gnadenlosigkeit, mit der sie ihn und sein dekadentes Umfeld seziert. Der Verlag lockt mit dem Hinweis, die Autorin hätte sich von der Wahl Nicolas Sarkozys inspirieren lassen, allerdings auf falsche spekulative Fährten.
Denn Streeruwitz „Er“ ist nur der Prototyp eines globalen Machtmenschen. Ein Manager des Geldes, das er vielmillionenfach durch Börsenspekulationen angehäuft und in Luxemburg deponiert hat. „Das Geld muss gelenkt werden wie ein Pferd“, ist seine Maxime.
Ein Mann mit unangenehmen Eigenschaften also, der alles hat außer echten Gefühlen. Er, der „nichts von seiner Herkunft gewusst hatte“ und auch erst gegen Ende des Romans einen Namen (Max) bekommt, wird von einer veritablen Midlife-Crisis aus seinen sonst so wohlkalkulierten Bahnen geworfen. Nun will er der Allerreichste werden, sich selbst, sein Leben, seine Umwelt neu erfinden. Die Familie muss verlassen, eine neue Identität geschaffen werden. Eine Tour de force durch europäische Städte und abgründige Innenwelten beginnt.
Denn „Er“, besessen davon, alles „im Griff“ zu haben, leidet zunehmend unter diesem Gefühl, „zerrissen zu werden“, unter verzerrten Wahrnehmungen und Spiegelbildern (darauf weist schon der Buchumschlag hin) in seinem Kopf. Eine fatale Trinität: Da sind die „kleinen Asiatinnen“ aus dem Wiener Nobelbordell, die ihm nur den Rücken zukehren dürfen. Die Vorderseite ist Lilli gewidmet, der als Mädchen vom adeligen Vater missbrauchten Ehefrau. Wenn er jemanden je geliebt hat, dann war es Lilli, die Komplizin seiner frühen Beutezüge, mindestens so zynisch wie er selbst. Längst ist sie zur bedrohlich gierigen Society-Hyäne mutiert (das sind brillant böse Szenerien), die ihm alles wegnehmen will und es mit dem Scheidungsanwalt treibt. Und von den fast erwachsenen Töchtern sieht er nur dieses Spiegelbild, wie sie als Kinder auf dem Teppich spielen.
Arme, reiche Leute, die nie genug bekommen. Materieller Reichtum und seelische Verarmung bilden eine Allianz in diesem wüsten Roman. Streeruwitz spart nicht an Hohn, wenn „Er“ nach einer Gesichtsoperation schmerzerfüllt durch Venedig taumelt, versteigt sich auch in pseudo-poetische Episoden. Immer paranoider ist Max nun bestrebt, sich selbst und sein Geld zu verstecken. Vielleicht hat er einen Fehler gemacht, als er die gerissene Agenturchefin in Zürich beauftragt hat, ihm eine perfekte neue Ehefrau zu beschaffen. „Er hatte als Opfer begonnen. Opfer sein. Das war die erste Sprache, die er erlennt hatte“, heißt es gegen Ende. Da hat man schon erstaunt festgestellt, dass diese Romanfigur nicht nur widerwärtig ist.Angie Dullinger
- Themen: