Früher waren wir echt so drauf

Die Hamburger Electro- HipHopper Deichkind, am 8. Dezember in Fürth, über ihre Live- Spektakel und den Tod eines Bandmitglieds
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Kann mehr, als sich schräg zu verkleiden und ein paar Bass-Linien einzuzupfen: Deichkinds „Porky“ alias Sebastian Dürre.
Universal Kann mehr, als sich schräg zu verkleiden und ein paar Bass-Linien einzuzupfen: Deichkinds „Porky“ alias Sebastian Dürre.

NÜRNBERG - Die Hamburger Electro- HipHopper Deichkind, am 8. Dezember in Fürth, über ihre Live- Spektakel und den Tod eines Bandmitglieds

Bei dieser Band herrscht Coolness-Konsens: Deichkind werden von Grundschülern und Studienrätinnen vergöttert, auf BWL-Partys, in Dorfdiskos und in besetzten Häusern. Die fulminanten Live-Inszenierungen der Hamburger Electro-HipHop-Chamäleons erinnern an Absurdes Theater für die Massen, die letzten beiden Platten oszillieren zwischen Avantgarde und Kirmestechno. Nach dem tragischen Tod von Bandmitglied Sebastian Hackert, der im Februar mit 32 Jahren an Herzversagen starb, haben Deichkind neue Songs im Myspace-Player und sind wieder auf Tour. Am 8. Dezember (20 Uhr) ist die Fürther Stadthalle Station. Karten an der Abendkasse.

AZ: Herr Dürre, Sie sind im Deichkind-Universum ein Personal-Mysterium. Sie geben sich als Bassist aus, obwohl die Band seit 2005 doch auf synthetische Beats setzt.

SEBASTIAN DÜRRE: Meint jeder, stimmt nicht. Auf „Aufstand im Schlaraffenland" und „Arbeit nervt" ist viel analog eingespielt, dann geloopt und gefiltert. Deswegen klingen die Beats auch so dynamisch. Wenn du Elektro-Mucke machst wie normale Leute, nur mit so einem normalen Programm, dann klingt das immer gleich. Beim letzten Album haben wir auch viel mit dem Mund eingespielt. Beim letzten Album haben wir auch viel mit dem Mund eingespielt, dieses Summen zum Beispiel (summt). Bass spiele ich seit 17 Jahren, hatte zehn Jahre Unterricht. Man hört mich unter anderem bei Jansen und Kowalski, ich war mit den H-Blockx im Studio, mit HipHop-Acts und Popsternchen.

Und was ist Ihre Rolle bei Deichkind, außer ein paar Bass-Lines einzuzupfen?

Bei Deichkind wirke ich schon seit „Noch 5 Minuten, Mutti" mit, schreibe Songs und produziere. Ich weiß, ich spiele gut Bass, aber ich muss jetzt nicht mehr so der „Bass-Man“ sein. Ich war schon immer eher der Typ im Hintergrund. Durch Deichkind bin ich auch ans Singen und Rappen gekommen und veröffentliche jetzt über Pudel-Records eine Single.

Hambuger Eklektizismus?

Genau, mit 2000 Vinyl-Platten daheim und als richtiges Hamburger Urgestein. Ich hab schon viel gesehen auf dieser Welt, aber zu Hause bin ich in Hamburg. Im Moment bin ich übrigens mit Deichkind Philipp Grütering in einer Berliner Siebdruckerei, wo wir das Artwork für einen Sampler besprechen, auf dem alle möglichen Arbeiten von Sebi (Sebastian Hackert, verstorbenes Deichkind-Mastermind, die Red.) sein werden...

..ein posthumes Best-Of, ohne Genre- und Labelgrenzen, wie für den 2006 verstorbenen Detroiter Producer-Kollegen J Dilla?

Ja, ein Sebi-Best of, mit einer 1000er-Vinyl-Auflage und all seinen Arbeiten von Fünf Sterne Deluxe hin zu Miss Platnum. Darunter die einzige Goldene Schalllplatte, die Deichkind jemals bekommen hat, Sebis „Emmanuela“ von Fettes Brot (lacht). Erhältlich ist der Sampler seit Tour-Start, der Erlös geht an seine Frau und sein Kind.

Woran genau ist Sebi Hackert denn gestorben?

Das war eine Kettenreaktion, eigentlich war er kerngesund, als er starb, in seinem Körper haben aber Elektrolyte gefehlt, er bekam ein Kreislaufproblem, wurde ohnmächtig. Erkältung gehabt, was Falsches gegessen, wenn bestimmte Faktoren zusammenkommen, kann es jeden treffen, daher was das auch so unvorhersehbar und so ein Schock.

Nach der Tragödie wurde ein Band-Aus diskutiert. Ist es im Sinne des Manns, der den Sound von Deichkind prägte, dass Deichkind ohne ihn weitergeht, mit einer Tour und Plänen für ein neues Album?

Auf jeden Fall. Als Freund ist er unersetzbar, sein spezieller Sound, der ihn bei Deichkind und als Mixer bei anderen Produktionen so erfolgreich gemacht hat, ist unwiederbringbar. Aber Sebi war nicht der Songwriter.

Wer ist dann letztendlich für das verantwortlich, das Deichkind seit „Aufstand im Schlaraffenland“ musikalisch auszeichnet.

Für die Songs sind meistens Philipp und ich verantwortlich. Sebi war derjenige, der alles arrangiert und aufgeblasen hat, dass es so mächtig klingt.

Ist es nicht ein komisches Gefühl, mit den alten Songs ohne ihn auf Tour zu gehen?

Wenn jemand stirbt, ist das etwas Mächtiges und Endgültiges. Nach der Trauer, die wir durchlebt haben, hatten die Festivals im Sommer fast etwas therapeutisches. Obwohl Sebi nicht mehr da war, fühlten wir uns ihm sehr nah. Und wenn bei Auftritten Massen mit dir mitfühlen und Hunderte Menschen das Weinen anfangen, wenn wir „Luftbahn" spielen, ist das weniger beklemmend als befreiend. Es war zuerst komisch, aber auch eine riesige Erleichterung.

In diesem Kontext hat das melancholische, jenseitige „Luftbahn“ ohnehin einen großen Symbolwert.

Es ist fast schon gespentisch, der Song entstand damals wie von selbst, war binnen drei Stunden fertig, und es ist der einzige Deichkind-Song wo Sebi etwas gesungen hat. Auch andere Deichkind-Songs entstanden magisch schnell, „Remmidemmi“ etwa war an einem Nachmittag fertig.

Was man dem Song auch anhört. Bedingt genial simpel, bei Deichkind und generell in Popmusik?

Es muss ein Impuls da sein. Je mehr man sich ausdenkt und konstruiert, desto weniger authentisch wird es.

Passend da der Death-Metal-Track „Die Toco“: Deichkind gegen Tocotronic – impulsiv versus siebengescheit?

Wir haben mit denen eine Single veröffentlicht, auf der anderen Seite dissen sie uns. Ihr Titel ist eine Neuauflage von „Ich verabscheue Euch wegen Eurer Kleinkunst zutiefst“. Es besteht ein gewisses Unbehagen zwischen den Bands, wir teilen uns ein Büro mit denen, den Goldenen Zitronen und Jan Delay. Und bei Tocotronic nervt einfach dieses Öko-Gehabe, dieses Konstrukt einer intellektuellen Aura, Gitarren-Typen, die einfach nicht Gitarre spielen können und sich eine Karriere zusammen schnorren. Und die finden uns prollig und hassen unsere verkleideten Fans, die kein Buch lesen können.

Wie kommt's, dass Deichkind so Mainstream geworden sind, ohne dass es die Musik bedingt?

Ich weiß nicht, es ist erstaunlich, aber völlig ok. Und ich weiß, dass wir das Ganze auch wieder einreißen können, wenn wir wollen. Aber es ist schön, dahin gekommen zu sein. Vor allem nach einer schwierigen Zeit, als Malte Deichkind verlassen hat. Er ist ein Genie. Aber das war auch gut, denn man konnte wieder auf zu neuen Ufern.

Warum haben Malte Pittner und Buddy Inflagranti, die beiden Charakter-MCs und Deichkind-Trademarks, Deichkind vor dem großen Durchbruch verlassen? Liegt's am Electro-Sound, der mit dem eher klassischen Sample-basierten HipHop der ersten Platten nicht mehr viel zu tun hatte?

Das hatte ganz andere Gründe. Ich wollte die beiden schon länger Mal fragen, ob sie sich nicht selbst zu ihren Motiven äußern könnten. Buddy habe ich am Schluss begossen wie eine Pflanze, auf ihn eingeredet, er solle bleiben, das sei gut für ihn, aber er wollte seinen eigenen Weg gehen. Wir sind ohne die beiden weiter gegangen, und natürlich klingt das ganz anders als zuvor, gerade weil wir traurig waren, dass sie gingen und uns davon lösen mussten.

Mittlerweile ist Deichkind als eine von wenigen deutschen Bands in der privilegierten Lage, auf verkaufte Platten pfeifen zu können, da der große Umsatz mit Live-Shows gemacht wird.

Wir können da nicht nur drauf pfeifen, das müssen wir! Es wird eh nichts verkauft. Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit 22 Mitarbeitern für Live-Shows, ohne die Hoffnung, unseren Plattenvorschuss wieder einzuspielen.

Kann man das über die Jahre durchhalten, diese extreme Bühnenaction mit Masken, Gummiboot-Crowdsurfen, Dosenbier-Fontänen?

Das ist ein perfekt durchinszeniertes Spektakel, eine Illusion. Natürlich nehme ich pro Tour fünf bis sechs Kilo ab, aber ungesund ist das nicht. Früher waren wir vielleicht echt so drauf, dieses Drecksau-Partytum bei jedem Gig voll auszuleben. Das ist aber auf diesem Level nicht mehr machbar.

In den letzten Monaten sind Electro- oder Techno-Elemente Common Sense in vielen deutschen HipHop-Produktionen. Genießen die in Teilen der Szene verachteten Deichkinder da ihre Vorreiterrolle?

Viele der Bands bekommen sicher von ihrem Management gesagt: „Mach mal so wie Deichkind“. Das ist schon eine Genugtuung. Bloß: Das funktioniert nie, wenn das so gemacht ist.

Kann man nach dieser offiziell „vorerst letzten" Tour und den neuen Songs auf Myspace mit einem neuen Album rechnen?

Das war erstmal die letzte Tour in dieser Größenordnung. Wir werden nächstes Jahr definitiv ins Studio gehen, aber ohne den Druck der letzten Jahre. Wenn wir zurückkommen, dann muss das richtig mächtig und gewaltig werden, keine zweite Version von „Arbeit nervt".

Interview: Steffen Windschall

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