"Frieden kann ganz einfach sein“
NÜRNBERG Vom Nobody zum Leistungsträger! Sein sagenhafter Aufstieg beim Club hat sich für Almog Cohen auch in der Nationalelf ausgezahlt. Dort ist der „Sechser“ ebenfalls gesetzt. Auch wenn der 22-Jährige beim 2:1-Erfolg der Israelis gegen Lettland am Samstag wegen Knöchelproblemen passen musste.
Sie stehen fast jeden Samstag auf dem Rasen. Dabei verbietet Ihnen Ihr Glauben doch, am Sabbat zu arbeiten.
ALMOG COHEN: Ich bin sehr gläubig und stolz auf meine Religion, aber manche Dinge sind nun mal nicht mit dem Beruf des Profis zu vereinbaren. Selbst in Israel wird samstags gespielt.
Wo befolgen Sie die Regeln Ihrer Religion?
Ich halte mich an die Essensvorschriften und lese regelmäßig im Tanach, unserer Bibel. Ich habe meinen Glauben so gut es geht an meinen Beruf angepasst – ohne mich selbst zu betrügen.
"Ich habe mich wochenlang nur von Thunfischpizza und Pasta ernährt"
Wie sähe ein Betrug aus?
Wenn ich den strenggläubigen Juden spielen und bei jeder Gelegenheit einen Ausweg aus meinen Glaubensvorschriften suchen würde.
Die Folgen Ihrer Religiosität bekamen Sie bereits zu spüren: An Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, haben Sie nicht trainiert. Prompt fehlten Sie in der Startelf von Dieter Hecking.
Der Trainer hat meine Entscheidung problemlos akzeptiert. Ich habe ja nicht geschwänzt, sondern bin meinem Glauben gefolgt. Ich habe das Training verpasst und so auch die Chancen auf einen Einsatz. Es ist meine Entscheidung, dass ich einige Bräuche nicht meinem Beruf unterordnen will. Das wird vom Club glücklicherweise zu einhundert Prozent toleriert.
Gab es Startschwierigkeiten?
Anfangs war ich zurückhaltender und habe mich wochenlang nur von Thunfischpizza und Pasta ernährt. Der Verein kam mir zwar sehr entgegen, vermittelte mir beispielsweise Kontakt zur jüdischen Gemeinde. Aber ich war zu schüchtern, um die Angebote anzunehmen.
Sie wollten dem Verein nicht zur Last fallen?
Ich wollte nichts falsch machen. Aber mittlerweile habe ich verstanden, dass das für den FCN eine Selbstverständlichkeit war.
Während der NS-Zeit fanden in Nürnberg die Parteitage der NSDAP statt. Nicht zuletzt die Rassengesetze leiteten den Holocaust ein. Das Vereinsgelände liegt nahe am ehemaligen Reichsparteitagsgelände.
Ich muss zugeben, dass das am ersten Tag schon ein komisches Gefühl war. Aber ich will hier einfach nur Fußball spielen. Die Geschichte darf niemals vergessen werden, aber ich bin jung und will nach vorne schauen. Nürnberg ist meine zweite Heimat.
Mit Ilkay Gündogan und Mehmet Ekici treffen Sie täglich auf zwei Muslime. Sind da die aktuellen politischen Entwicklungen ein Thema?
Nein, darüber sprechen wir nicht. Mir ist es egal, ob jemand Moslem, Katholik, Deutscher oder Iraner ist. Ich sehe immer nur den Menschen. So gehen Ilkay, Mehmet und ich miteinander um.
Interessieren die sich denn für Ihre Religion?
Oh ja, anfangs hat jeden Tag jemand etwas gefragt: Was bedeutet koscher? Worauf musst du noch achten? Eine Völkerverständigung im Kleinen. Wir haben uns über das Essen angenähert. Da wir kein Schweinefleisch essen dürfen, bekommen wir vom Club immer ein Extramenü: Fisch, Pasta – Dinge, die wir essen dürfen. So hatten wir das erste Gesprächsthema. Heute sind wir sehr gute Freunde. Wie man sieht: Frieden kann ganz einfach sein.
"Lothar Matthäus war entscheidend für meine Karriere"
Nicht ganz so friedlich soll Ihr Verhältnis zu Lothar Matthäus gewesen sein, der Sie in Netanya trainierte.
Am Anfang haben wir oft gestritten. Ich war im Jahr vor seinem Amtsantritt Stammspieler geworden und wurde zum besten Nachwuchsspieler des Landes gewählt. Doch Matthäus setzte vor allem auf erfahrene Spieler.
Sie muckten auf.
Ich war sauer, weil ich nur noch auf der Bank saß. Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt, und wir haben uns imTraining lauthals angeschrien. Daraufhin gab er mir einen wichtigen Rat.
„Halt besser die Klappe?“
Er sagte: „Mit deinem Verhalten würdest du in jeder europäischen Liga durchfallen. Du musst lernen, dass du eine kleine Nummer bist. Du musst dir erst einmal einen Namen erarbeiten, dann kannst du Forderungen stellen.
Sprechen wir wirklich vom gleichen Lothar Matthäus?
Ich kenne seinen Ruf in Deutschland und frage mich, warum er hier nicht richtig ernstgenommen wird. Er ist ein sehr guter Trainer, der jedem Fußballer etwas beibringen kann. Nicht zuletzt wegen ihm habe ich Englisch gelernt.
Matthäus als Englischlehrer – schwer vorstellbar.
Er hat es mir nicht beigebracht. Aber als er mein Trainer war, wurde jeden Tag Englisch gesprochen. Er sagte mir am ersten Tag, dass ich mir das im Hinblick auf meine Zukunft möglichst schnell draufschaffen solle.
Auch als Berater für Zukunftsfragen würden ihn hier nur die Wenigsten wählen.
Er war entscheidend für meine Karriere. Dass ich in der Bundesliga spiele, verdanke ich zu mindestens 40 Prozent ihm. Er ist sehr zielstrebig. Aber alles, was er sagt, wird in Deutschland belächelt. Das finde ich nicht fair. Ich würde ihm wünschen, dass er dieses lösen kann.
Interview: B. Kuhlhoff/11 Freunde