Flut in Niederbayern: Hier versinkt meine Heimat

Das Dorf steht unter Wasser, die Flut dringt in die Häuser ein – es sind erschreckende Berichte, die den AZ-Reporter aus Niederbayern erreichen.
von  Michael Burner
Der Dorfplatz von Anzenkirchen steht komplett unter Wasser. Der weiß-blaue Pfosten, der herausragt, ist der Maibaum. Das Wasser dringt bereits in die Häuser ein.
Der Dorfplatz von Anzenkirchen steht komplett unter Wasser. Der weiß-blaue Pfosten, der herausragt, ist der Maibaum. Das Wasser dringt bereits in die Häuser ein. © az

Triftern - Am Mittwoch um halb vier am Nachmittag wird mein Heimatdorf zum Katastrophengebiet.

Der Ort ist geflutet, Hochwasser drückt in die Häuser. Es herrscht Ausnahmezustand. Chaos. Panik. Nicht irgendwo, sondern bei mir daheim.

Anzenkirchen ist ein Dorf im Kreis Rottal-Inn, es gehört zur Gemeinde Triftern – und ist am Mittwoch vom Hochwasser überrascht worden. Die meisten meiner Nachbarn und Freunde haben es nicht rechtzeitig nach Hause geschafft, um Schlimmeres zu verhindern.

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Unaufhaltsam schwappte das Wasser über die Ufer des Altbachs in die Wiesn. Die außer Kontrolle geratenen Wassermassen bahnten sich dann den Weg durch unsere Straßen, vorbei am Dorfplatz mit Maibaum, von dort aus in die Gärten, Keller und Wohnzimmer.

"Hier ist Chaos"

Mir wird anders, als ich die Bilder sehe. Ich greife zum Telefon. „Hallo Papa, ist bei euch alles in Ordnung?“, frage ich von München aus. „Nein“, sagt er. „Hier ist Chaos. Wasser steht unten an der Terrasse. Scheiße, jetzt läuft’s gleich rein. Kann jetzt nicht. Ruf dich später zurück.“ Bevor er auflegt höre ich noch das hastige Geschrei meiner

Schwester im Hintergrund: „Die Feuerwehr. Die Feuerwehr ist endlich da. Sag ihnen, die sollen sofort hier her!“ Am Klang der Stimme meines Vaters habe ich bemerkt, dass es schlimm um Anzenkirchen stehen muss.

Ich rufe bei einem Freund an, der hochwassererprobt ist. Er wohnt seit knapp 30 Jahren neben dem Altbach und hat unser kleines Dorfrinnsal schon oft über sich hinauswachsen sehen. Dieses Mal ist es anders. „Das ist völliger Irrsinn, was hier gerade passiert“, erzählt er mir ganz außer Puste am Telefon. Die Feuerwehr habe ihm eben gesagt, dass sie seine „Siedlung aufgegeben“ haben. Nichts zu machen.

Galgenhumor oder bittere Verzweiflung

Das Wasser drückt Haustüren ein, jongliert tonnenschweres Mobiliar durchs Erdgeschoss und schiebt es voller Wucht durch die Fenster in die Vorgärten.

Meine Freunde senden mir weiter Bilder aus unserem komplett abgesoffenen Dorf. Die Zeilen, die sie darunter schreiben reichen von Galgenhumor bis hin zu bitterer Verzweiflung. „Das Jahrhunderthochwasser von 1991 war ein Scheißdreck gegen das hier“, schreibt einer.

Spätestens jetzt will ich mich in München in den Zug hocken und sofort ins Rottal fahren. Auf Twitter lese ich, dass die Bahn die Strecke bis auf unbestimmte Zeit gesperrt hat. Das wird also nichts. Ich versuche noch einmal meinen Vater anzurufen. Er geht nicht ran.

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