Flucht aus der Kirche

Seit dem Missbrauchsskandal treten in Bayern so viele Katholiken wie noch nie aus der Kirche aus. Priester Rainer Maria Schießler: „Das geht an die Substanz”.
Anne Kathrin Koophamel |
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Da hilft auch ein Pflaster auf der Bibel nicht mehr: Der Kirche laufen die Gläubigen weg.
Montage: Norbert Koza Da hilft auch ein Pflaster auf der Bibel nicht mehr: Der Kirche laufen die Gläubigen weg.

Seit dem Missbrauchsskandal treten in Bayern so viele Katholiken wie noch nie aus der Kirche aus. „Das geht an die Substanz”, sagt der
Münchner Priester Rainer Maria Schießler.

München - Es ist schlecht um die katholischen Kirchen in München bestellt. Als die AZ am Sonntag nach der Messe in der Innenstadt Gläubige sucht, die sich zur Kirche bekennen, winken die meisten ab: „Ich möcht’ öffentlich nicht mit der Kirche in Verbindung gebracht werden”, sagt ein junger Vater. Ob er darüber nachdenke, auszutreten? „Ich werde in der nächsten Messe in mich gehen”, sagt er etwas zurückhaltend.

Dabei wäre der Familienvater damit nicht allein: 2010 sind so viele Katholiken wie noch nie in Bayern aus der Kirche ausgetreten: 65000 Austritte zählen alle Bistümer des Freistaates zusammen. Das sind 48,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Nach den Missbrauchsskandalen und den Prügelvorwürfen gegen den zurückgetretenen Bischof Walter Mixa gab es geradezu eine Flut an Austritten, die sich erst zum Jahresende hin normalisierte. Am meisten Austritte gab es in München-Freising: 23254 Menschen kehrten hier der Kirche den Rücken.

„Ich hatte doppelt so viele Austritte wie im Jahr zuvor. Das geht an die Substanz”, sagt auch Pfarrer Rainer Maria Schießler, dessen Gemeinde St. Maximilian als Vorzeige-Kirche gilt: Zwei Drittel der Menschen im Sonntagsgottesdienst haben noch keine grauen Haare. Während seines Gottesdienstes sind die Kirchenbänke gut besetzt.
Doch die Austritte machen Schießler zu schaffen. „Das bringt mich als Seelsorger zum Nachdenken”, sagt er.

In seiner aktuellen Predigt hat er die Austritte thematisiert – aber auch, dass sich die Kirche endlich so zu ihren Fehlern bekennen muss, dass ihre Opfer den Priestern vergeben können. „Die meisten Menschen, die austreten, glauben nicht mehr an das System, das hinter dem Glauben steht”, sagt Schießler.

Ebenso glaubt das Bistum, dass die Austritte unmittelbar mit den Skandalen zusammenhängen. Es sei aber nicht der einzige Austrittsgrund, wie Bistumssprecher Christoph Kappes sagt: „Oft geht diesem Schritt schon ein längerer Entfremdungsprozess vorher.” Das einzelne Ereignis sei dann nur noch der Auslöser. Anders sieht es Christian Weisner von „Wir sind Kirche”: „Dafür, wie dieser Missbrauchsskandal Deutschland erschüttert hat, sind die Austrittszahlen noch niedrig.”

Besser geht es dafür der evangelischen Kirche: Zwar traten auch hier 20000 Protestanten im vergangenen Jahr aus. Doch ist die Zahl konstant. Zudem stieg die Zahl der Eintritte von 3500 Menschen auf 5400. 

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