Flower-Power unter Kannibalen
NÜRNBERG - Man muss in dieser Frühjahrssaison keinesfalls die Befürchtung haben, auf Frankens Konzertbühnen mit den angesagten Pop-Stars und Trendsettern überfordert zu sein. Da ist alles schön übersichtlich.
Folglich haben Die Ärzte ihre Live-Narkosen zwischen Nürnberg und Würzburg im Handumdrehen ausverkauft (und setzen jetzt mit dem „Taubertal Open Air“ nach). Und auch Harmlos-Partysanen wie Culcha Candela aus Berlin kennzeichnen mit ihrem ausverkauften Erlanger E-Werk erhöhte Entzugserscheinungen.
Die Zurückhaltung, die das örtliche Angebot noch stärker als in den Vorjahren prägt (bedingt durchs „Medienstadt“- Denken der Künstler und „Rock im Park“-Konkurrenzdenken), ermöglicht freilich den Durchblick auf Künstler, die im gesättigten Angebot womöglich durchgerutscht wären: Den größten Rahmen – neben den australischen Pink-Floyd-Nachahmern am 7. März in der Arena (s. AZ vom 15.2.) – beansprucht Italiens Rostkehlchen Zucchero, der sich mit seinen Blues getränkten Export-Schlagern nachhaltig als einer der wenigen behauptet (17.4., Frankenhalle).
Die exklusivste Position verteidigt Chuck Berry: Der Rock’n’Roll-Gründungsdaddy (81) kommt zum einzigen Deutschland-Konzert in den Löwensaal (15.3.) und rollt noch mal mit „Johnny B. Goode“ über Beethoven weg. Die Zahl der Unruheständler nimmt ohnehin kontinuierlich zu: Mitch Ryder aus Detroit lebt weiterhin vom Ansehen in Europa und der Tragfähigkeit seiner deutschen Band Engerling. Auf dem neuen Album, wo sich hinterm ironischen Titel „You Deserve My Art“ bittere Erkenntnisse und Cajun-Drive begegnen, zeigen sich die aparten Seiten eines beruhigten Shouters (Hirsch, heute, 21 Uhr). Dort taucht aus der Rock-Geschichte nicht nur das Flower-Power-Mädchen Melanie (Safka) – die mit dem „Nickel Song“ – auf (20.4.), sondern auch britische Blues-Verschollene wie Spooky Tooth (27.2.) und Überlebende der Ersten Deutschen Welle, wie Birth Control im Doppel mit den WG-Hippies Guru Guru (24.4.).
Jule Neigel, Judith Holofernes, Fury in the Slaughterhouse
Ihre „Schatten an der Wand“ lässt auch Jule Neigel wieder tanzen. „Die schönste Stimme Deutschlands“ nennt sich jetzt erwachsen Julia, bevorzugt aber immer noch Jule statt Plastik und weiterhin den direkten Draht (Roth Kulturfabrik, Sonntag; Ansbach Kammerspiele, Montag). Andere deutsche Namen sind nachgerückt: Wir sind Helden um die vereinnahmende Judith Holofernes stimmen jetzt eine „kleine Ode an die Arbeit“ an (Löwensaal, 16.4.). Fury in the Slaughterhouse aus Hannover dagegen stellen den Sendebetrieb ihres gefühlsbetonten „Radio Orchid“ ein (Löwensaal, 6.4.).
Die Berliner Feinripp- Cowboys The BossHoss machen dem Land weiterhin den Hengst (Löwensaal, 19.3.), Christina Stürmer hat ohnehin „Nie Genug“ und vergrößert überzeugend die Distanz zu ihrer Casting-Vergangenheit – und zwar „Lautlos“, wie das kommende Album heißt (Meistersingerhalle, 24.4.). „Still No 1.“ nennen Slut aus Ingolstadt ihre neue Pop-Opulenz (Erlangen E-Werk, 9.3.) Wer’s provokanter mag, findet bei den unkorrekten K.I.Z. aus Berlin (die Namensanalyse reicht von „Kannibalen In Zivil“ bis „Künstler im Zuchthaus“) anstößigen Rap beim „Hahnenkampf“ (Hirsch, 31.3.).
Unverfänglicher ist da die sonnnengebräunte Comic- Variante der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (Jacko-Arena Bamberg, heute, 20 Uhr,Meistersingerhalle, Samstag). Seit seinem Sensations- Comeback bei „Rock im Park“ weiß man, dass Roger Hodgson, der Mann mit Falsett und Flügel, locker auf seine einstigen „Supertramp“-Begleiter verzichten kann. Nach einigen Probeläufen (u.a. im Orchesterschaumbad) ist der 57-Jährige in Minimalbesetzung unterwegs (MSH, 25.5.). Sein Gitarren- Bruder Mark füllt demnächst wieder große Hallen,. David Knopfler aber opferte eigensinnlichen Songwriter-Vorstellungen die „Dire Straits“-Karriere und pflegt unbeirrt seine Passion morgen, 20 Uhr, Ansbach Kammerspiele).
Akzente in der Weltmusik
Akzente in der Weltmusik setzen Kubas Salsa-Seelsorger von Charanga Habanera (Löwensaal, 11.3.). A-Cappella-Chefin Marie Daulne, Afrikanerin aus Belgien mit Wohnsitz USA, lässt über ihrem zuletzt wenig strahlendenWeltmusiklabor namens Zap Mama nun den „Supermoon“ (CD-Titel) scheinen (Tafelhalle, 10.3.). Soul-Diva Jocelyn B. Smith blendet sich mit Liedern von Zülfü Livaneli ins Türkeifilmfestival ein (Tafelhalle, 1. 3.). Und bei der „Kapverdischen Nacht“ begegnen sich mit Sara Tavares und Mayra Andrade zwei Traumstimmen (Opernhaus, 2.5.).
Andreas Radlmaie
- Themen:
- Ludwig van Beethoven