FDP-Chef Martin Hagen: "Die wirtschaftliche Substanz unseres Landes steht auf dem Spiel"

AZ-Interview mit Martin Hagen: Der 41-Jährige ist Vorsitzender der Bayern-FDP, der liberalen Landtagsfraktion und Mitglied des FDP-Bundesvorstandes.
AZ: Herr Hagen, wie erklären Sie sich das Debakel in Niedersachsen?
MARTIN HAGEN: Ich sehe zwei Gründe: Erstens sind die Bürger durch Inflation und Energiekrise massiv verunsichert. Die grassierenden Abstiegsängste haben alle etablierten Parteien Stimmen gekostet und die AfD gestärkt. Eine gefährliche Entwicklung - deshalb ist es so wichtig, dass die Ampel jetzt mit der Gas- und Strompreisbremse einen wirtschaftlichen Schutzschirm für Bürger und Unternehmen aufspannt. Der zweite Grund betrifft die FDP und ihre komplizierte Rolle in einer Koalition mit zwei linken Parteien.
"Ein verantwortungsvoller Finanzminister muss auch Nein sagen können"
Aus der FDP hört man, sie habe sich in der Ampel bislang nicht ausreichend profilieren können und deshalb Wähler verloren. Ist es aber nicht eher so, dass die Liberalen von vielen als Nein-Sager und wenig konstruktiv wahrgenommen werden - etwa in Sachen Tempolimit oder bei der Aussetzung der Schuldenbremse?
Man könnte es auch positiv formulieren: Die FDP ist das dringend notwendige Bollwerk gegen einen Linksruck, der unserem Land blühen würde, könnten SPD und Grüne alleine entscheiden. Beispiel Schuldenbremse: Christian Lindner hat die notwendigen Entlastungen im dreistelligen Milliardenbereich ermöglicht, aber gleichzeitig durchgesetzt, dass wir ab nächstem Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten. Denn dauerhafte Politik auf Pump würde die Inflation weiter anheizen und ginge zulasten kommender Generationen. Ein verantwortungsvoller Finanzminister muss also auch Nein sagen können. Ärgerlich ist hingegen das Nein der Grünen zu einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten: Diese ideologisch motivierte Blockade schadet unserem Land, weil sie die Energieversorgung gefährdet und die Preise weiter verteuert.
"Erst das Land, dann die Partei"
Wie wird sich die Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung nun verändern?
Im Koalitionsvertrag ging es um einen Dreiklang aus sozialer Gerechtigkeit, Ökologie und Ökonomie. Die Ökonomie kommt mir momentan zu kurz - dabei müsste sie angesichts der veränderten Situation eigentlich besonders hoch gewichtet werden. Denn die wirtschaftliche Substanz unseres Landes steht aktuell auf dem Spiel. Sie ist aber die Voraussetzung dafür, dass wir uns soziale Wohltaten und eine ökologische Transformation leisten können. Deshalb muss in der Ampel jetzt gelten: Vorfahrt für alle Projekte, die Deutschland als Wirtschaftsstandort stärken.
War es ein Fehler, dieses Zweckbündnis mit SPD und Grünen einzugehen?
Nein. Es war eine Frage der staatspolitischen Verantwortung. Und auch jetzt gilt für uns: erst das Land, dann die Partei.