Fall Ursula Herrmann: Rätsel um ein grünes Kabel

Welche Rolle spielen zwei Schüler, die vom Entführungsort am Ammersee Beweismittel versteckten? Der Bruder der Toten sucht weiter nach der Wahrheit. 
von  Nina Job
Ursula Herrmann (kleines Bild) wurde am 15. September am Ammersee entführt, betäubt und in eine vergrabene Kiste gesperrt.
Ursula Herrmann (kleines Bild) wurde am 15. September am Ammersee entführt, betäubt und in eine vergrabene Kiste gesperrt. © dpa

München - Heute wäre sie eine gestandene Frau, die vielleicht selbst Kinder hätte. Vor 37 Jahren ist Ursula Herrmann entführt worden. Sie war zehn Jahre alt, als sie im sogenannten Weingarten am Uferweg des Ammersees – nur wenige hundert Meter von ihrem Elternhaus entfernt – betäubt, in den Wald gebracht und in eine Kiste gesteckt wurde, in der sie starb.

Zum Jahrestag am vergangenen Samstag besuchten Ursulas 80-jährige Mutter und ihre drei Geschwister gemeinsam das Grab in Eching. Obwohl so viele Jahre vergangenen sind, lässt die Ungewissheit, wer ihnen das angetan hat, vor allem ihren Bruder Michael Herrmann nicht zur Ruhe kommen.

Der 55-Jährige hält Werner Mazurek, der vor zehn Jahren wegen erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, nicht für den Täter. Dazu kommt: Selbst wenn er es war, wovon die Richter überzeugt waren, kann er die Tat nicht allein begangen haben. Davon sind auch die Ermittler überzeugt.

Die Indizien, die zu Werner Mazureks Verurteilung führten, erscheinen Michael Herrmann für nicht beweiskräftig. Der Realschullehrer für katholische Religion und Musik sucht weiter nach der Wahrheit. Und er hat einen Verdacht.

Der 80 Meter lange Draht wurde von der Polizei übersehen

Seit Jahren durchforstet er die Akten, zu denen er als Nebenkläger Zugang hat. Sie umfassen rund 25 000 Seiten. „Es gibt mehrere Indizien, die für einen jugendlichen Täterkreis sprechen“, sagt Michael Herrmann. „Man stößt sowohl bei der Tatbegehung als auch bei dem Verhalten danach immer wieder auf Punkte, die Rückschlüsse darauf zulassen, dass die Täter nicht unbedingt erwachsen waren.“

Diese Indizien könnten aus der Sicht des Bruders für junge Täter oder Mittäter sprechen:

  • Das erste Erpresserschreiben, mit dem der oder die Täter eine Million Mark erpressen wollten, ist eine Collage aus Zeitungsausschnitten, die auf ein kariertes Blatt Papier aufgeklebt wurden. Darauf wurden Durchdruckspuren gefunden.
    Barbara Zipser, Expertin für Handschriften an der Uni in London, hat sich für den Fall interessiert und von sich aus angeboten, die Spuren zu untersuchen. Sie kommt zu dem Schluss, „dass der Block, von dem dieses Blatt stammt, zuvor wahrscheinlich von einem Gymnasiasten aus der Oberstufe für Notizen zu einer Mathematikaufgabe verwendet wurde“ – aus der Schochastik.
  • Eine andere Spur führt ins Landerziehungsheim Schondorf (heute: Landheim), auf das auch viele einflussreiche Eltern ihre Kinder schicken. Als die Polizei dort im Januar 1983 eine Befragung durchführte, kam heraus, dass zwei Schüler ein 80 Meter langes Telefonkabel in ihrem Zimmer versteckt hatten, das vom Entführungsort stammte. Das Kabel diente der Kommunikation zwischen den Entführern, vermuteten die damaligen Ermittler. Die Schüler behaupteten, sie hätten den sogenannten Klingeldraht gefunden, als sie tagsüber einer Eule folgten. Doch Eulen sind nachtaktive Tiere.

Schon einmal hat ein ehemaliger Landheim-Schüler in der AZ den Verdacht geäußert, frühere Mitschüler oder Lehrer könnten mit der Tat zu tun gehabt haben. Er behauptete, im Landheim sei jedoch nie richtig ermittelt worden.

Für Ursula Herrmanns Bruder gibt es zwei weitere Indizien, die für jugendliche Täter sprechen: Die Entführer legten Comics (Clever & Smart) und Süßigkeiten in die Kiste – als ob einem entführten Kind danach zumute sein könnte. „Das ist eigentlich kein erwachsenes Denken“, sagt er. Zudem forderten die Erpresser außer Geld einen Fiat 600. Solch ein Auto spielt bei Clever & Smart ebenfalls eine wichtige Rolle.

Michael Herrmann will keine Ruhe geben. Er sucht nach neuen Beweisen, damit die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen noch einmal aufnimmt. Und Fall eines Tages doch noch einmal neu aufgerollt wird.

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