Fahrverbote in Tirol: "Eine Notwehrmaßnahme"
München - Blockabfertigung für Lastwagen, Sperrung von Landstraßen und Abfahrverbote zu Billigtankstellen – darüber streiten Österreich und Deutschland schon seit Monaten. Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) zieht alle Register, um die Österreicher vom zunehmenden Verkehr zu entlasten. Mit der bayerischen und deutschen Politik geht er dabei hart ins Gericht.
AZ: Herr Platter, bis Sonntag noch gelten die aktuellen Fahrverbote an Wochenenden. Letzte Woche kündigten Sie Winterfahrverbote an, die derzeit ausgearbeitet werden. Was wären die nächste Eskalationsstufe? Schließt Tirol irgendwann die Grenzen?
GÜNTHER PLATTER: Bleiben wir bitte sachlich. Eine Schließung der Grenzen stand nie zur Debatte. Und was die Fahrverbote auf dem niederrangigen Straßennetz betrifft, möchte ich ein für alle Mal klarstellen: Es handelt sich dabei um keine Schikane gegenüber Urlaubern, wie uns gerne unterstellt wird, schließlich gelten diese Fahrverbote für In- und Ausländer gleichermaßen. Ausgenommen ist lediglich der Ziel-, Quell- und Anrainerverkehr. Die Fahrverbote stellen vielmehr eine Notwehrmaßnahme dar, um die Verkehrs- und Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Durch den massiven Ausweichverkehr von der Autobahn ging in vielen Tiroler Dörfern nichts mehr, nicht einmal die Rettungsorganisationen konnten an ihren Einsatzort gelangen. Insofern waren wir zum Handeln gezwungen.
In Österreich ist die Lkw-Maut fünfmal höher als in Bayern
Sie haben Bayern und Deutschland kürzlich geraten, ihr "Gehirnschmalz mal lieber darauf zu verwenden, wie man dem Transitverkehr Herr wird", als über Klagen nachzudenken. Hat das CSU-geführte Verkehrsministerium auf deutscher Seite Ihrer Meinung nach versagt?
Während wir in Tirol unsere Hausaufgaben gemacht haben und die Zulaufstrecken zum Brenner-Basistunnel zeitgerecht fertigstellen, wird in Deutschland eine Endlosdebatte geführt. Das hat zur Folge, dass unsere nördlichen Nachbarn den Zeitplänen massiv hinterherhinken. Zumindest ist nun zu beobachten, dass sich auch dort die Notwendigkeit einer schnellen Umsetzung der Zulaufstrecken durchsetzt. Es kann doch nicht sein, dass dieses Jahrhundertprojekt seine volle Leistungsfähigkeit nicht entfalten kann, nur weil es an den Zulaufstrecken fehlt. Insgesamt fehlen in Deutschland echte Maßnahmen zur Reduktion des Schwerverkehrs. Dabei ist eine Anhebung der in Deutschland niedrigen Lkw-Maut auf das Niveau Österreichs, welches das Fünffache beträgt, das Gebot der Stunde. Dadurch könnten wir den enormen Umweg-Transitverkehr verhindern, der über den Brenner 40 Prozent ausmacht, weil dieser zu den billigsten Nord-Süd-Verbindungen im Alpenraum zählt. Da müssen unsere Nachbarn endlich mitziehen.
Es gibt ja durchaus Kompromiss-Signale. Zudem war immer wieder zu hören, die Vorschläge für eine Einigung seien jedes Mal an Ihnen, dem Tiroler Landeshauptmann, gescheitert. Was sagen Sie dazu?
Es ist vielmehr so, dass erst der Druck Tirols Bewegung in die Diskussion gebracht hat. Der Transit-Gipfel in Berlin wäre niemals zustandegekommen, wenn wir nicht auf die untragbaren Zustände in unserem Land aufmerksam gemacht hätten. Letztlich ist es durch unsere Anti-Transit-Maßnahmen gelungen, unseren Nachbarn klarzumachen, dass wir nicht weiter über uns drüberfahren lassen. Der Eindruck, dass wir nicht zusammenarbeiten, täuscht meiner Ansicht nach. So wird auf allen Ebenen sehr intensiv an der Umsetzung des Zehn-Punkte-Plans von Berlin gearbeitet.
Was müssen die Lkw derzeit an Mautgebühren zahlen?
Der Brenner ist am gesamten Korridor von München nach Verona nur etwa halb so teuer wie die um 100 Kilometer kürzere Strecke durch die Schweiz über den Gotthard. Im Schnitt sind von München bis Verona 30 Cent pro Kilometer zu bezahlen, über den Gotthard durch die Schweiz circa 80 Cent pro Kilometer. Das macht die Strecke über den Brenner besonders attraktiv für den Schwerverkehr auf der Straße, obwohl der Tiroler Teil der Strecke eine durchschnittliche Maut von 80 Cent pro Kilometer aufweist.
Und um wie viel müsste sich aus Ihrer Sicht die Korridormaut in Deutschland erhöhen, damit überhaupt ein Lenkungseffekt auftritt?
Die Maut in Deutschland und Italien muss auf das Tiroler Niveau angehoben werden. In Tirol haben wir die gesetzlichen Möglichkeiten bei der Bemautung bereits zur Gänze ausgeschöpft. Daher liegt es jetzt an unseren Nachbarn im Norden und Süden, unserem Beispiel zu folgen. Unsere klare Forderung besteht in einer einheitlichen Maut im Korridor von München bis Verona. Studien haben gezeigt, dass 40 Prozent der Transit-Lastwagen einen Mehr- oder Umweg über den Brenner in Kauf nehmen, nur weil dieser so preiswert ist. Am Gotthard-Korridor etwa gibt es nahezu keine Mehrweg- oder Umwegfahrten. Daher sind wir davon überzeugt, dass eine höhere Maut über den Brenner auch zu einer vermehrten Nutzung der Alternativ-Strecken führen wird.
Kritiker der Korridormaut sagen jedoch, ohne Alternativen für den Transport – also Schienenverkehr – würde die Maut hauptsächlich die Güter für die Wirtschaft verteuern und somit lediglich die Konsumentenpreise nach oben treiben. Halten Sie dies denn für wirtschaftlich vertretbar?
Natürlich ist die Einführung einer einheitlichen Korridormaut nur eine von mehreren Maßnahmen, um dem überbordenden Transitverkehr und der enormen Belastung für Mensch, Natur und Infrastruktur Einhalt zu gebieten. Um eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene zu erreichen, braucht es mehr Kapazitäten bei der "Rollenden Landstraße", mehr Verlade-Terminals und auch der unbegleitete Verkehr mittels Containern nach dem Vorbild der Schifffahrt gehört massiv gefördert.
"Bin überrascht, wie emotional Deutschland auf Verbote reagiert"
Aber schaden Sie mit Ihren Maßnahmen nicht auch der Tiroler Wirtschaft? Allein der Blick auf die Hallen der Logistiker links und rechts der Autobahn zeigt doch, dass auch Ihr Land vom Transitverkehr recht abhängig ist.
Als Landeshauptmann sehe ich es als meine Aufgabe, die Tirolerinnen und Tiroler beim Thema Transit und Verkehr nicht noch mehr zu belasten – und damit meine ich sowohl die Bevölkerung als auch die heimische Wirtschaft.
Derzeit prüfen Sie auch noch ein Verbot von Abfahrten zu Billigtankstellen, ein Pilotprojekt läuft bereits. Werden Sie es tatsächlich umsetzen?
Diese Prüfung läuft aktuell noch. Sobald die Ergebnisse vorliegen, werden wir die Öffentlichkeit entsprechend informieren.
Und dann droht auch noch das Ausweichstreckenverbot für den Winter – besteht nicht zugleich die Sorge, damit viele Ski-Urlauber zu vergraulen? Was sagt die österreichische Tourismus-Branche dazu?
Der Verkehr wird auch für Touristen immer mehr zur Belastung. Unsere Gäste wollen – genauso wenig wie die Einheimischen – keinen durchgehenden Stau in ihrem Urlaubsort. Die Rückmeldungen zu den Fahrverboten im Sommer haben gezeigt, dass diese ihre Wirkung erzielt haben und auch die Gäste das honorieren. Wir haben sehr viele positive Reaktionen erhalten. Und ich gehe davon aus, dass auch unsere Fahrverbote für den Winter auf ähnlich viel Zustimmung stoßen werden. Wenn die Verkehrsbelastung in Tirol zurückgeht, wird Tirol noch attraktiver und bestimmt nicht unattraktiver für unsere Gäste.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nennt Ihre Pläne zum Winterfahrverbot "überdreht" und sagt, er hoffe, dass nach den Neuwahlen in Österreich die dortige Bundesregierung wieder als Ansprechpartner zur Verfügung stehe. Was sagen Sie dazu?
Ich war und bin auch jetzt wieder überrascht, wie emotional Deutschland auf unsere Fahrverbote reagiert. Denn in Wahrheit handelt es sich hier nur um eine lokale, marginale Maßnahme. Im Kampf gegen den überbordenden Transitverkehr ist dem Bundesland Tirol die Unterstützung aus Wien gewiss. Erst jüngst hat Sebastian Kurz (Ex-Bundeskanzler und ÖVP-Spitzenkandidat, d. Red.) angekündigt, dem Transitverkehr ein eigenes Kapitel im künftigen Regierungsprogramm widmen zu wollen.
Wie sieht es mit der von Deutschland geforderten Mautfreiheit bis Kufstein Süd aus, die die österreichische Vignette in die Tiroler Skigebiete überflüssig machen soll?
Sebastian Kurz und ich sind hier einer Meinung: Es braucht eine Mautbefreiung bis Kufstein Süd. Noch vor den Nationalratswahlen am 29. September wird es deshalb einen Initiativantrag der Österreichischen Volkspartei im Parlament geben, um Nägel mit Köpfen zu machen.
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