Fahnder durchsuchen Ettal

ETTAL/MÜNCHEN - Etliche Kisten mit Beweismaterial beschlagnahmt – ein Pater zeigt sich selbst an: „Das Kloster zeigt sich kooperativ“, so die Staatsanwältin. Altettaler Schüler schreiben Wutbrief an den Erzbischof.
So etwas haben die Mönche im ehrwürdigen Kloster Ettal noch nie erlebt: Fahnder der Staatsanwaltschaft München durchsuchen zwei Stunden das Kloster. Sie beschlagnahmen mehrere Kisten mit Unterlagen. Insgesamt stehen nach AZ-Informationen inzwischen sechs Patres unter Verdacht, Schüler misshandelt oder sexuell missbraucht zu haben. Derzeit geht man von 20 Opfern aus.
Gegen 16 Uhr war es, als die Autos der Fahnder am Dienstag vor dem Kloster stoppten. Zwei Staatsanwälte und Beamte der Kripo Garmisch standen wenig später vor Pater Emmeram Walter, der das Kloster derzeit leitet. Die Mönche hatten bereits Unterlagen bereitgestellt. Die Fahnder wollten aber mehr. Sie durchsuchten das Klosterarchiv und stellten auch Fragen zu zwei Patres. Einer hatte sich seinen Mitbrüdern anvertraut und gestanden, ebenfalls Schüler geschlagen zu haben. Die Fälle liegen erst wenige Jahre zurück und sind strafrechtlich noch nicht verjährt. „Der Pater hat sich zu einer Selbstanzeige entschlossen, wir haben letzte Woche die Staatsanwaltschaft darüber informiert“, so Rechtsanwalt Thomas Pfister, der vom Kloster als Sonderermittler eingesetzt wurde.
Die Fahnder der Staatsanwaltschaft interessierten sich aber auch für Pater G., der 2005 ins Kloster Wechselburg (Sachsen) versetzt wurde. Er soll in Ettal Schüler sexuell missbraucht haben. G. habe Kinder im Gesicht, am Oberkörper, den Armen und Beinen gestreichelt, sowie sie auf seinem Schoß sitzen lassen.
Pater M., der mittlerweile an Krebs verstorben ist, wird ebenfalls sexueller Missbrauch in den 70er und 80er Jahren vorgeworfen. Er unterrichtete bis 2004 im Internat. Bei zwei anderen Mönchen soll es bis 1990 zu Übergriffen gekommen sein.
„Dem Kloster ist an einer rückhaltlosen Aufklärung sämtlicher Vorgänge gelegen“, betont Pater Emmeram Walter. Man habe die Unterlagen „aus freien Stücken“ übergeben. Das Kloster zeige sich „kooperativ“, bestätigte Oberstaatsanwältin Regina Sieh. Über Details zum Inhalt der Untersuchungen wollte sie keine Angaben machen.
Trotz der Vorwürfe halten die Ettaler Kloster und Gymnasium die Treue. Schüler passen höllisch auf, dass sie gegenüber Fremden kein falsches Wort über die Fälle von sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt verlieren. „Sonst geht noch mehr kaputt“, sagt ein Jugendlicher. „Uns wurde kein Maulkorb umgehängt“, beteuert ein Schüler der Kollegstufe.
„Man muss ganz klar unterscheiden zwischen früheren Jahren im Kloster und heute“, betont Sonderermittler Thomas Pfister. Wie es mit den Benediktinern in Ettal weitergeht, ist völlig offen. „Die Kirche braucht spirituelle Leuchttürme. Ettal stand viele Jahre im Ruf, ein solcher Leuchtturm zu sein. Diesen Ruf muss sich das Kloster neu erarbeiten“, sagt Bernhard Kellner, Sprecher der Erzdiözese München–Freising.
Abt Barnabas Bögle und Schulleiter Pater Maurus Kraß mussten auf Druck des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx ihren Hut nehmen. Doch der Elternbeirat hält weiter zu ihnen, stärkt ihnen demonstrativ den Rücken. „Dafür sind wir sehr dankbar,“ schrieben die beiden Benediktiner in einer persönlichen Erklärung. „Mit tiefer Beschämung wissen wir, dass Ettaler Mönche zu Tätern und Mitwissern wurden und in unverantwortlicher Weise zu den Vorgängen geschwiegen haben.“
Die Benediktiner haben Papst Benedikt XVI. um die Entsendung eines Apostolischen Visitators, eines päpstlichen Beauftragten gebeten.
Indes schreiben viele Eltern wütende Briefe an den Münchner Erzbischof. Darunter auch 150 „Altettaler“, ehemalige Schüler: „Wir wollen dem Eindruck entgegentreten“, schrieben sie, „dass in Ettal jahrzehntelang und systematisch Fälle von sexuellem oder körperlichem Missbrauch vertuscht wurden.“ Sie hätten vielmehr in Ettal „eine Atmosphäre der Offenheit, der Toleranz und des gegenseitigen Vertrauens erlebt“.Ralph Hub