Fahles Licht für große Schatten

NÜRNBERG - Bravo-Rufe für Christof Pricks Mahler-Schlacht mit den Nürnberger Philharmonikern.
Hätte ein unvorbereiteter, aber einigermaßen sachkundiger Besucher dieses Philharmonischen Konzertes, mit dem Christof Prick die Meistersingerhallen-Saison des Opernhaus-Orchesters eröffnete, den ersten Blick statt ins Programmheft gleich auf die Bühne geworfen, er hätte ganz richtig gedacht: Aha, Mahler! Ein Heer von Musikern mit einem Instrumentarium, das die üppige klassische Besetzung nach allen Richtungen hin ausweitete. Kuhglocken und einen Hau-den-Lukas-Hammer erlebt man auch 102 Jahre nach der Uraufführung von Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 6 selten im Klassik-Abo.
Um es gleich vorweg zu sagen: Christof Prick, der sein persönliches Maestro-Profil meist über Mozart, Wagner und Strauss schärft, aber als Animator Mahler'scher Kolosse auch seine andere Seite bereits zeigte, ist mit dieser Extremisten-Studie von Mega-Klang in der besten Gesellschaft der örtlichen Interpretations-Geschichte angekommen. Zu der gehört neben den Pioniertaten des schwerblütig agierenden Hans Gierster und den mit Eleganz unterfütterten Aggressions-Schüben von Philippe Auguin im verklärenden Rückblick wohl sogar der gradeaus attackierende Zugriff von Eberhard Kloke. Ganz sicher aber die gespenstisch dahinstürmende Mahler-Eroberung von Adam Fischer mit den Bamberger Symphonikern.
Gewaltige Hammerschläge zum Finale
Bei Prick schleicht sich Mahler, da wir uns nun grade in der Zeit der Neudefinierung von „Schutzschirmen" befinden, etwas voreilig unters Wagner-Dach. Der Dirigent, anfeuernder Organisator einer immer noch mirakulös wirkenden Phon-Schlacht, betont sofort das fahle Licht, in dem alles Schwelgen große Schatten wirft. Die Betäubung, der sinnliche Rausch als verführerisches Vorspiel, das muss bei Prick einer scharf auftrumpfenden Klanggeste weichen. Dies ändert sich nicht mal im Scherzo, wo die Kontraste Grimassen schneiden. Prick betont die Gegensätze eher zögernd, er baut sie nebeneinander auf und lässt in jeder Passage wissen, dass lyrische Oasen und gezirkelte Karikaturen immer unter dem Druck der Dämonie stehen. Damit verzichet er auf einen Teil der Fallhöhe, der die Spannung steigern würde und reckt das Werk ganzheitlich in die Gewitterwolken der Dramatik. Aber es ist eine souveräne, in sich schlüssige Deutung, die zum Finale mit den gewaltigen Hammerschlägen das Monument als solches festklopft.
Das riesige Ochester folgte dem Feldherrn am Pult souverän durch die Turbulenzen. Die Bravo-Rufe gehörten allen Beteiligten. Dieter Stoll
Was es mit der Protest-Aktion der Nürnberger Philharmoniker und ihre Streik-Pläne auf sich hat, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Montag, 24. November.