"Extrem intensive Momente": Wie zwei Schäfchen das Leben der Menschen im Pflegeheim verändern

Erst drei Wochen sind die Lämmchen bei ihrem ersten Einsatz im Altenwerk Marthashofen alt. Die jungen Tiere sind besonders zutraulich – das aber aus traurigen Gründen.
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Die Bewohner des Heims dürfen die Tiere auch streicheln und halten. Der Effekt ist manchmal verblüffend.
Die Bewohner des Heims dürfen die Tiere auch streicheln und halten. Der Effekt ist manchmal verblüffend. © Hradetzky

Puch - "Es sind extrem intensive Momente", sagt Silvia Hradetzky. Wenn ein Mann im Altenheim, der sonst nie spricht, plötzlich Fragen stellt. Wenn Spastiken in den Fingern sich lösen, sobald die Hand über das Schafsfell streichelt.

Mit ihren Lämmchen reisen Silvia und Florian Hradetzky aus Puch durch den Landkreis Fürstenfeldbruck – und besuchen mit ihren zutraulichen Schafen Hospize, Kindergärten und Seniorenheime.

Erst kürzlich waren die Lämmchen im Altenwerk Martahshofen in Grafrath, mit Windeln, wie sich das für drei Wochen alte Babys gehört. In Marthashofen wohnen pflegebedürftige Menschen, besonders viele sind dement.

Erinnerungen an die Kindheit

Durch das Streicheln werden die Menschen mit starker Demenz angesprochen. Es könne helfen die Kommunikation anzuregen und bestehende Ängste abzubauen, sagt Sarah Frank, die für die Pressearbeit des Seniorenheims zuständig ist. Zudem werden Erinnerungen an die Kindheit geweckt.

Fast alle Sinne würden bei dem Besuch der Lämmer angeregt, etwa durch das Fühlen von Wolle, was den alten Menschen sehr bekannt sei. Hinzu kämen der Geruch der Lämmer und der Ton des Blökens – ein Geräusch, das viele aus ihrer Vergangenheit kennen. Die Nähe der kleinen Lämmer könne zudem Geborgenheit vermitteln, sagt Sahra Frank.

Erst drei Wochen alt und schon am Arbeiten: Ole und Luna mit ihren Pflegeeltern Silvia und Florian Hradetzky.
Erst drei Wochen alt und schon am Arbeiten: Ole und Luna mit ihren Pflegeeltern Silvia und Florian Hradetzky. © Hradetzky

Warum die Schafe der Hradetzkys so zutraulich sind, hat jedoch einen traurigen Hintergrund. Alle ihre Lämmchen wachsen nämlich ohne Mutter auf und werden von den Hradetzkys großgezogen. Entweder starb die Mutter bei der Geburt oder hat ihr Lämmchen verstoßen – das kommt etwa dann vor, wenn das Schaf merkt, dass es nicht genug Milch für alle hat.

In der Küche werden Ole und Luna gefüttert 

In diesen Fällen nehmen die Hradetzkys die Schafe auf – und füttern sie zuhause in ihrer Küche. Die ersten drei Nächte bleibe einer der beiden bei den Lämmchen, sagt Silvia Hradetzky. Danach würden die Jungtiere von 24 Uhr bis sechs Uhr alleine in der Küche durchhalten. Diese extreme Menschenbezogenheit, die hier entstehe, sei ein unnatürliches Verhalten, sagt Hradetzky. Normale Schafe sind Fluchttiere.

In die Seniorenheime nehmen die beiden Hradetzkys immer nur zwei Schafe mit, damit sie eine 1:1-Betreuung gewährleisten können. Im Sommer treffen sich die Schafe mit den Bewohnern des Heims meist im Garten, aber im Winter besuchen sie sie auch mal am Bett. "Die Lämmchen legen sich dann auch hin und schlafen an der Bettkante ein", sagt Hradetzky.

Das verstoßene Lämmchen

Vor zwei Jahren begann Silvia Hradetzky ehrenamtlich auf dem Biolandhof Unglert mit seinen 300 Mutterschafen in Puchheim mitzuhelfen. Ihr Traum war es, eines Tages etwas mit Landwirtschaft zu machen. Und dann begann alles ganz plötzlich mit einem Lämmchen, das verstoßen wurde – Berti. Sie rief ihren Mann an: "Soll ich ein Schaf mitbringen?" Heute wiegt Berti 90 Kilo.

Derzeit besteht die Herde aus zehn großen Schafen, die alle etwa ein bis zwei Jahre alt sind. Sechs der Schafe sind aktuell noch sehr klein.

Da die Tiere von Menschen aufgezogen werden, sind sie besonders zutraulich.
Da die Tiere von Menschen aufgezogen werden, sind sie besonders zutraulich. © Hradetzky

Am Anfang sei es schon eine Herausforderung gewesen, sagt Hradetzky – bis man denn mal wisse, wie alles genau funktioniert. Wenn man den Lämmchen beispielsweise nicht die richtige Menge an Milch gibt, wird der Magen-Darm-Trakt der Tiere geschädigt.

Zwei bis drei Besuche in Heimen oder anderen Einrichtungen schaffen die Hradetzkys neben ihren normalen Jobs pro Woche. Auch Kindergärten besuchen sie. Dort geht es dann darum, die Kleinen für die Landwirtschaft zu sensibilisieren – warum werden Schafe gezüchtet, was sind Heu und Stroh?

Die Bewohner von Marthashofen freuen sich schon jetzt auf den nächsten Besuch der vierbeinigen Wollknäuel, sagt Frank. Darauf, wieder die Lämmer zu beobachten, dem Blöken zu lauschen oder ihnen durchs Fell zu streicheln.

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