Exorzismus in Bayern: "Weiche von diesem Geschöpf Gottes, weiche!"

Seit 30 Jahren findet Exorzismus offiziell nicht mehr statt. Bei der 23-jährigen Susanne gehört er aber zum Alltag. Die junge Frau aus Oberbayern glaubt, vom Teufel besessen zu sein. Ihr Pfarrer will ihn austreiben. Mit Unterstützung der katholischen Kirche?
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Susanne (23): „Das macht alles er“, sagt sie über den Teufel, der ihr so viel Leid beschert habe.Foto: Kathrin Harms
az Susanne (23): „Das macht alles er“, sagt sie über den Teufel, der ihr so viel Leid beschert habe.Foto: Kathrin Harms

Seit 30 Jahren findet Exorzismus offiziell nicht mehr statt. Bei der 23-jährigen Susanne gehört er aber zum Alltag. Die junge Frau aus Oberbayern glaubt, vom Teufel besessen zu sein. Ihr Pfarrer will ihn austreiben. Mit Unterstützung der katholischen Kirche?

Die junge Frau wimmert: „Aufhören!“

Doch der Pfarrer spricht weiter, ein alter Mann mit schütterem Haar. „Helft uns im Kampf mit den Mächten der Finsternis, die uns heimlich umschleichen und bedrängen!“, fleht er.

„Aufhören, aufhören!“ Die junge Frau wird lauter.

„Mutter Maria, hilf!“ Auch der Pfarrer hebt die Stimme, doch beim Namen Marias gellt ein Schrei auf.

„Halt dein Maul!“

„So beschwöre ich dich, weiche von diesem Geschöpf Gottes. Weiche!“ Pfarrer Maurer nähert sich dem Höhepunkt, der Teufels-Ansprache.

„Du hast mir gar nichts zu befehlen, du dreckige Sau!“

„Verstumme! Und hindere diese Dienerin Gottes nicht, den Herrn zu preisen. Das befiehlt dir Jesus Christus.“

„Drecksack!“ Susanne streckt ihm die Zunge raus.

Teufelsaustreibungen gehören wie Hexenverbrennungen ins Mittelalter oder in Horrorfilme. Die katholische Kirche hat Exorzismen offiziell schon seit dreißig Jahren nicht mehr genehmigt. Doch die Szene mit Susanne (Name geändert) und Pfarrer Otto Maurer spielt im Hier und Heute, mitten in Bayern, in einem katholischen Tagungshaus in Kösching nahe Ingolstadt.

Hat Bischof Mixa Exorzismus angeordnet?

Der Augsburger Bischof Walter Mixa soll in seiner Zeit als Eichstätter Bischof (1996-2005) Teufelsaustreibungen beauftragt haben. Das Bistum Eichstätt erklärt, dass Bischof Mixa Pfarrer Maurer zwar „als Ansprechpartner für solche Fälle beauftragt“ hätte, sich aber „niemand daraufhin gemeldet“ habe. Der Auftrag sei aber 2005 „erloschen“. Das hindert Maurer nicht daran, weiter zu exorzieren. Der Fall heizt die Exorzismus-Debatte neu an. „Die Teufelsaustreibung ist ein menschenverachtendes Verfahren und kommt einer seelischen Vergewaltigung gleich“, sagt der katholische Theologe und Psychologe Hermann Böckenförde.

Eigentlich ist Susanne ein fröhlicher und offener Mensch. Sie scherzt mit der Kellnerin im Café, dem Busfahrer und der Schaffnerin. Ihre Kindheit war nicht fröhlich. Als sie acht war, erzählt sie, erkrankte sie an Lymphknotenkrebs. Nachdem sie mit knapper Not überlebt hatte, musste ihre krebskranke Mutter für Jahre ins Krankenhaus. Susanne kam ins Heim, später in Pflegefamilien. Seit der Krebserkrankung quält sie sich mit Bronchitis, Lungenentzündungen, Magenschleimhautentzündungen und leidet an Immunschwäche.

Es geschehen unheimliche Dinge

Obwohl sie zu krank war, um ihre Ausbildung zur Altenpflegerin abzuschließen, resigniert sie nicht und tut, was sie schon als Kind tun wollte: auf der Bühne stehen und singen. Ein paar Mal tritt sie in einer Morgenshow im Fernsehen auf. Doch dann bekommt sie immer häufiger Anfälle. „Ich wurde aus dem Schlaf gerissen und konnte mich nicht mehr bewegen.“ Dann kommt sie auf die Idee, das Vaterunser zu beten. Doch die Anfälle suchen sie weiterhin heim, dazu geschehen unheimliche Dinge. „Jemand riss mir die Bettdecke weg und polterte in meinem Schrank herum.“

Susanne ist überzeugt, dass sie vom Teufel besessen ist. Wenn der Zug nach Ingolstadt Verspätung hat, wenn sie sich auf dem Weg zum Pfarrer verläuft, ist das kein Zufall. „Das macht alles er“, flüstert sie.

Ihr Ex-Freund brachte sie auf die Idee, dass eine böse Macht am Werk wäre. Im Internet forschte sie nach einem Priester, „der sich mit solchen Sachen auskennt“. Eines Tages kam eine Email. Das Solothurner Ordinariat schrieb ihr, Weihbischof Martin Gächter könne ihr helfen. Sie fuhr hin.

Mit Kruzifixen jagen sie die Frau durchs Zimmer

Gächter beruhigt sie: Man könne ihr helfen. Er holt sich beim Basler Bischof Kurt Koch die Erlaubnis für den „Großen Exorzismus“ und macht sich zusammen mit zwei Vikaren an die Arbeit. Mit Kruzifixen jagen sie die Frau durchs Zimmer und versuchen, ihr die Priesterstola aufzulegen. Durch das Schreien erleidet Susanne eine chronische Kehlkopfentzündung.

Als die Priester in der Schweiz nach etwa dreißig Exorzismen zu der Überzeugung kommen, der Teufel sei nun ausgefahren, lässt Susanne sich firmen. Sie schreibt ein Buch über ihr Schicksal. Der Freisinger Priester und Psychotherapeuten Jörg Müller, der „christliche Psychotherapie“ anbietet, schreibt ein begeistertes Vorwort – ohne Susanne jemals persönlich begegnet zu sein. „Der Fall möge ein Lehrbeispiel sein für die Zusammenarbeit von Medizin, Psychologie und Theologie und Anlass geben, unser Aufgeklärtsein drastisch zu hinterfragen.“ Müller ist Gründungsmitglied der „Heilenden Gemeinschaft“, die aus Priestern, Ärzten und Psychologen besteht und Hilfesuchenden schon mal einen Exorzismus als Therapieform verordnet.

Bizarre Schriften

Ebenso wie die Schweizer Priester stützt sich auch der pensionierte bayerische Pfarrer Otto Maurer auf die bizarren Schriften des Kollegen Müller. Der empfiehlt einen „Kleinen Exorzismus“, der auch ohne bischöfliche Erlaubnis gebetet werden könne. Doch sobald Satan „direkt angesprochen“ wird, so wie es in den von Müller empfohlenen Gebeten geschieht, hat man es mit einem waschechten Exorzismus zu tun.

Die Zwiesprache mit dem Leibhaftigen gehört an diesem Nachmittag in Kösching auch zur Strategie von Pfarrer Maurer. „Unreiner Geist, wie heißt du eigentlich?“

„Das sage ich dir nicht! Halt's Maul! Verrecke! Du Mistsau! Schweig!“ Abwechselnd schreit, faucht, knurrt es aus Susannes Körper.

„Wie viele seid ihr?“ fragt der Pfarrer.

Die Antwort ist ein kurzer Schrei: „Drei!“

Für Pfarrer Maurer ist klar: „Es muss eine Verfluchung gegeben haben.“

Dann sind die Gebete im kargen Tagungshaus verstummt. Langsam trocknet der Schweiß auf Susannes Haut, ihre Gesichtszüge entspannen sich, als würde ein tiefer Schmerz nachlassen. Sie senkt den Blick. „Können Sie bitte Ihre Stola ablegen?“, bittet sie. Die scheut sie, ebenso wie Heiligenbilder, Kruzifixe, den Namen Jesus Christus und der Gottesmutter. „Einmal, bei einem anderen Exorzismus, hat mir der Teufel die Stola zerrissen“, berichtet der Pfarrer, nicht ohne Stolz.

Für konservative Kirchenkreise, die an den Leibhaftigen genauso glauben wie an die unbefleckte Empfängnis, ist eine Person wie Susanne im Grunde ein Glücksfall. „Wir lernen daraus und erkennen, wie stark Gott doch sein muss, wenn der Böse sich so gegen das Kreuz und Weihwasser wehrt“, sagten die Schweizer Priester zu ihr.

Der alte Pfarrer legt die Gebetbücher auf einen Stapel. „So kann es nicht weitergehen. Sie wollen doch befreit werden, oder?“ Susanne zögert. „Manchmal denke ich, das soll alles so sein.“

Anne Meyer

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